Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
Vom Netzwerk:
einträglichen Landgütern. Ich glaube, das Ding hat das Geld, das die Familie dafür ausgegeben hat, mehr als wieder eingebracht«, erwiderte Matthew. »Diana kann es tragen, bis du ihr etwas Besseres genäht hast.«
    Natürlich konnte ich diese Unterhaltung nicht in meinem Tagebuch zitieren. Stattdessen wählte ich meine Worte so, dass sie anderen nichts sagten und mich gleichzeitig möglichst lebhaft an Menschen, Klänge oder Unterhaltungen erinnern würden. Falls dieses Buch überlebte, müsste ein zukünftiger Leser diese winzigen Schnipsel aus meinem Leben steril und trocken finden. Historiker brüteten oft über derlei Dokumenten und hofften dabei vergeblich, hinter diesen schlichten Zeilen das volle, komplexe Leben einer Zeit erfassen zu können.
    Matthew fluchte leise. Ich war nicht die Einzige in diesem Haus, die etwas zu verbergen hatte.
    Mein Gemahl erhielt heute reichlich Post und schenkte mir dies Büchlein, um meine Erinnerungen zu bewahren.
    Gerade als ich den Kiel hob, um ihn ins Tintenfass zu tauchen, traten Henry und Tom, die nach Matthew suchten, in den Raum. Mein drittes Auge öffnete sich blinzelnd und überraschte mich damit. Seit wir angekommen waren, hatten sich meine angeborenen Kräfte – Hexenfeuer, Hexenflut und Hexenwind – nicht mehr bemerkbar gemacht. Mit der übersinnlichen Wahrnehmung meines dritten Auges nahm ich nicht nur das intensive Schwarzrot in der Atmosphäre rund um Matthew wahr, sondern auch Toms silbernes Strahlen und Henrys kaum sichtbaren grünschwarzen Schimmer, die jeweils so unverwechselbar waren wie ein Fingerabdruck.
    Plötzlich fielen mir die blauen und bernsteingelben Fäden wieder ein, die ich in der Ecke der Old Lodge bemerkt hatte, und ich fragte mich, was es wohl zu bedeuten hatte, dass einige meiner Kräfte verschwunden waren und sich dafür neue zeigten. Und dann das Erlebnis an diesem Morgen …
    Etwas in der Ecke hatte meinen Blick auf sich gezogen, ein bernsteingelbes Flimmern, das mit leichtem Blau durchzogen war. Gleichzeitig hatte ich ein Echo registriert, allerdings so leise, dass ich es eher spürte als hörte. Als ich den Kopf drehte, um festzustellen, woher es kam, erlosch die Empfindung wieder. Stattdessen pulsierten am Rande meines Blickfeldes bunte Stränge, so als wollte die Zeit mich nach Hause locken.
    Seit meiner ersten Zeitwanderung in Madison, bei der ich nur wenige Minuten übersprungen hatte, empfand ich die Zeit als Textur aus Licht und Farben. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich mich auf einen einzigen Strang beschränken und ihm zu seiner Quelle folgen. Jetzt, nachdem ich mehrere Jahrhunderte durchwandert hatte, wusste ich, dass sich hinter diesem scheinbar schlichten Gewebe Millionen Knoten verbargen, die eine unvorstellbare Anzahl von Vergangenheiten mit Millionen verschiedenen Gegenwarten und einem unermesslichen Potential an Zukunftsalternativen verbanden. Isaac Newton hatte angenommen, dass die Zeit eine grundlegende Naturkraft war, die sich nicht kontrollieren ließ. Nachdem ich mich bis ins Jahr 1590 zurückgekämpft hatte, war ich bereit, ihm zuzustimmen.
    »Diana? Ist alles in Ordnung?« Matthews drängende Stimme riss mich aus meinen Tagträumen. Seine Freunde sahen mich besorgt an.
    »Aber ja«, antwortete ich automatisch.
    »Nichts ist in Ordnung.« Er warf seine Feder auf den Tisch. »Dein Geruch hat sich verändert. Wer weiß, vielleicht verändern sich auch deine magischen Fähigkeiten. Kit hat recht. Wir müssen dir so schnell wie möglich eine Hexe suchen.«
    »Es ist noch zu früh, um eine Hexe ins Spiel zu bringen«, protestierte ich. »Erst muss ich aussehen und klingen, als würde ich hierhergehören.«
    »Jede Hexe wird auf den ersten Blick erkennen, dass du Zeitwandeln kannst«, widersprach er. »Sie wird schon nicht allzu streng sein. Oder ist da noch etwas?«
    Ich schüttelte den Kopf, doch ich konnte ihm dabei nicht in die Augen blicken.
    Matthew hatte nicht sehen müssen, wie sich die Zeit in einer Zimmerecke auflöste, um zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Und wenn selbst er ahnte, dass mit meiner Magie mehr passierte, als ich offenbaren wollte, würde jede Hexe, die unser Haus betrat, meine Geheimnisse auf den ersten Blick durchschauen.

4
    D ie Schule der Nacht hatte sich redlich bemüht, Matthew bei der Suche nach einer geeigneten Hexe zu helfen. Ihre Vorschläge offenbarten allerdings, wie wenig sie von Frauen, Hexen und jedem Wesen ohne abgeschlossenes Universitätsstudium hielten. Henry

Weitere Kostenlose Bücher