Wo die Nacht beginnt
bei Witwe Beaton bleiben.«
»Vielleicht könnte ich mich allein im Dorf mit der Witwe treffen?«, schlug ich vor, in der Hoffnung, dass einer von ihnen Vernunft annehmen und Matthew überreden würde, mich das auf meine Weise regeln zu lassen.
»Nein!«, riefen sechs Männerstimmen entsetzt.
Françoise erschien mit zwei weiteren spitzenbesetzten Kleidungsstücken aus gestärktem Leinen.
»Diana geht nicht zu Hofe. Die Krause ist nicht vonnöten«, winkte Matthew ungeduldig ab. »Außerdem machen ihr vor allem die Haare Probleme.«
»Ihr wisst nicht, was sich geziemt«, gab Françoise zurück. Sie war zwar eine Vampirin und ich eine Hexe, aber wenn es um den Starrsinn der Männer ging, waren wir auf einer Wellenlänge. »Welche würde Madame de Clermont bevorzugen?« Sie reichte mir zum einen ein gefälteltes Nest aus gazeartigem Stoff und zum anderen etwas Halbmondförmiges, das aussah, als hätte jemand mit einem unsichtbaren Faden Schneeflocken zusammengenäht.
Die Schneeflocken sahen deutlich bequemer aus. Ich zeigte darauf.
Während Françoise den Kragen an meinem Mieder befestigte, unternahm Matthew einen weiteren Vorstoß, mein Haar gefälliger zu frisieren. Françoise schlug seine Hand weg. »Nicht berühren.«
»Ich berühre mein Weib, wann es mir gefällt. Und hör auf, Diana als ›Madame de Clermont‹ anzusprechen«, grummelte Matthew, ließ aber seine Hände auf meine Schultern sinken. »Jedes Mal erwarte ich, dass gleich meine Mutter durch die Tür spaziert kommt.« Er zog die Enden des Kragens auseinander und lockerte das schwarze Samtband, unter dem sich Françoise’ Nadeln versteckten.
» Madame ist eine verheiratete Frau. Ihr Busen sollte bedeckt sein. Es wird schon genug über die neue Herrin geredet«, protestierte Françoise.
»Geredet? Was wird denn geredet?« Ich runzelte die Stirn.
»Ihr wart gestern nicht in der Kirche, und nun munkelt man, dass Ihr schwanger oder an Windpocken erkrankt seid. Dieser ketzerische Priester glaubt sogar, Ihr seid Katholikin. Andere meinen, Ihr seid eine Spanierin.«
»Spanierin?«
»Oui, madame. Jemand hat Euch gestern Nachmittag im Stall belauscht.«
»Aber da habe ich Französisch geübt.« Ich hielt mich für eine ganz passable Schauspielerin und hatte gehofft, dass meine komplizierte Geschichte glaubhafter wirkte, wenn ich Ysabeaus herrschaftlichen Akzent imitierte.
»Der Sohn des Stallknechts hat das nicht als Französisch erkannt.« Françoise’ Tonfall ließ durchblicken, dass sie seine Verwirrung verstehen konnte. Sie musterte mich zufrieden. »So, nun seht Ihr aus wie eine ehrbare Frau.«
»Fallaces sunt rerum species«, bemerkte Kit so bissig, dass Matthew ihn sofort mit einem finsteren Blick strafte. » Äußerlichkeiten können täuschen. Niemand wird sich von ihrem Aussehen irreführen lassen.«
»Es ist viel zu früh am Tag für Seneca.« Walter warf Marlowe einen warnenden Blick zu.
»Es ist nie zu früh für stoischen Gleichmut«, erwiderte Kit gravitätisch. »Ihr solltet dankbar sein, dass es nicht von Homer ist. Alles, was wir in letzter Zeit gehört haben, sind dilettantische Paraphrasen der Ilias. Überlasst die Griechen den Männern, die etwas davon verstehen, George – Männern wie Matt.«
»Meine Übersetzung der Werke Homers ist noch nicht vollendet!«, brauste George sofort auf.
Seine Antwort löste bei Walter einen Schwall von lateinischen Zitaten aus. Bei einem musste Matthew leise lachen, und er erwiderte etwas darauf, vermutlich in Griechisch. Die unten wartende Hexe war vergessen, während sich die Männer begeistert ihrem liebsten Zeitvertreib widmeten: dem verbalen Schlagabtausch. Ich sank auf meinen Stuhl zurück.
»Wenn sie so brillant sind wie jetzt, sind sie ein wahres Schauspiel«, flüsterte Henry mir zu. »Dies sind die schärfsten Geister im gesamten Königreich, Mistress Roydon.«
Raleigh und Marlowe stritten mittlerweile lautstark über die Kolonisierungs- und Eroberungspolitik Ihrer Majestät.
»Wer sein Gold einem Glücksritter wie Euch anvertraut, könnte es ebenso gut mit beiden Händen in die Themse werfen, Walter«, schnaubte Kit.
»Glücksritter! Und das von einem, der es aus Angst vor seinen Gläubigern nicht wagt, sein Haus bei Tageslicht zu verlassen.« Raleighs Stimme bebte. »Manchmal seid Ihr so ein Tor, Kit.«
Matthew hatte das Wortgefecht zunehmend fröhlicher verfolgt. »Bei wem steht Ihr diesmal in der Kreide?«, fragte er Marlowe und griff dabei nach seinem Wein. »Und wie
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