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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Wams sah Kit aus wie ein exotischer Vogel, der sich irgendwie in den Ritzen der geschnitzten Holzvertäfelung verfangen hatte. Matthew hielt ihn ein paar weitere Sekunden fest, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und ließ ihn dann fallen.
    »Komm, Diana. Es wird sich alles finden.« Matthew klang immer noch überzeugt, aber ein ominöses Kribbeln in meinem Daumen mahnte mich, dass Kit womöglich recht behalten könnte.
    »Bei den Zähnen des Allmächtigen«, murmelte Walter ungläubig, als wir in den Saal einzogen. »Ist das die Witwe?«
    Am anderen Ende des Raumes stand im Halbdunkel eine Hexe wie aus einem Hollywood-Schinken: klein, gebeugt und uralt. Je näher wir kamen, desto deutlicher traten das rostige Schwarz ihres Kleides, die strähnigen weißen Haare und die ledrige Haut aus dem Bild hervor. Eines ihrer Augen war milchig eingetrübt, das andere haselbraun und getüpfelt. Der Augapfel mit der trüben Linse hatte die beunruhigende Angewohnheit, in seiner Höhle hin und her zu zucken, so als würde er dauernd die Perspektive wechseln, um vielleicht doch noch etwas zu erkennen. Gerade als ich glaubte, dass es nicht schlimmer kommen konnte, entdeckte ich die Warze auf ihrer Nasenwurzel.
    Witwe Beaton warf mir einen scheelen Blick zu und ließ sich widerwillig zu einem Knicks herab. An dem kaum wahrnehmbaren Kitzeln auf meiner Haut erkannte ich, dass sie tatsächlich eine Hexe war. Ohne Vorwarnung öffnete sich mein drittes Auge und suchte nach weiteren Informationen. Doch anders als fast alle Wesen sonderte Witwe Beaton keinerlei Aura ab. Sie war durch und durch grau. Es war deprimierend, eine Hexe zu sehen, die sich so angestrengt bemühte, unsichtbar zu bleiben. War ich genauso farblos gewesen, bevor ich Ashmole 782 berührt hatte? Mein drittes Auge schloss sich wieder.
    »Danke, dass Ihr uns besucht, Witwe Beaton.« Matthew klang, als müsste sie sich glücklich schätzen, eingelassen worden zu sein.
    »Master Roydon.« Die Stimme der Hexe raschelte wie das trockene Laub auf dem Schotter vor dem Haus. Sie richtete ihr gesundes Auge auf mich.
    »Bring Witwe Beaton an ihren Platz, George.«
    Auf Matthews Befehl hin sprang Chapman vor, während wir Übrigen in sicherem Abstand verharrten. Stöhnend ließ die Witwe ihre rheumatischen Glieder auf den Stuhl sinken.
    Matthew wartete höflich ab, bis sie Platz genommen hatte, und fuhr dann fort: »Lasst uns gleich zu des Pudels Kern kommen. Diese Frau …«, er deutete auf mich, »steht unter meinem Schutz und hatte in letzter Zeit Schwierigkeiten.« Dass wir verheiratet waren, ließ Matthew unerwähnt.
    »Ihr seid umgeben von einflussreichen Freunden und treuen Dienern, Master Roydon. Ein armes Weib wie ich kann einem Edelmann wie Euch gewiss kaum von Nutzen sein.«
    Witwe Beaton versuchte, sich höflich zu geben, damit ihre Antwort weniger abweisend klang, aber mein Gemahl hatte ein ausgezeichnetes Gehör. Seine Augen wurden schmal.
    »Treibt keine Spiele mit mir«, erklärte er knapp. »Ihr wollt mich gewiss nicht zum Feind haben, Witwe Beaton. Einiges an dieser Frau deutet darauf hin, dass sie eine Hexe ist, und darum braucht sie Eure Hilfe.«
    »Eine Hexe?« Witwe Beaton sah ihn höflich, aber zweifelnd an. »War ihre Mutter eine Hexe? Oder ihr Vater ein Hexenmeister?«
    »Beide starben, als sie noch ein Kind war. Wir wissen nicht mit Sicherheit, welche Kräfte die beiden besaßen«, speiste Matthew sie mit einer seiner typischen Vampir-Halbwahrheiten ab. Er warf einen kleinen Beutel mit Münzen in Witwe Beatons Schoß. »Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr sie untersuchen könntet.«
    »Sehr wohl.« Die Alte erhob sich schwer, kam zu mir geschlurft und reckte ihre knorrigen Finger meinem Gesicht entgegen. Als sie mich berührte, flammte eine Energie zwischen uns auf, die nicht zu missdeuten war. Die Alte zuckte zurück.
    »Und?«, wollte Matthew wissen.
    Witwe Beaton ließ die Hände in den Schoß sinken. Sie umklammerte den Geldbeutel, und kurz sah es so aus, als würde sie ihn Matthew ins Gesicht schleudern. Dann hatte sie sich wieder gefangen.
    »Es verhält sich so, wie ich vermutete. Die Frau ist keine Hexe, Master Roydon.« Sie klang scheinbar gleichmütig, allerdings war ihre Stimme ein bisschen höher als zuvor. Eine Woge der Verachtung brandete aus meiner Magengrube hoch und füllte meinen Mund mit bitterem Geschmack.
    »Wenn du das glaubst, dann verfügst du über wesentlich weniger Kräfte, als die Menschen in Woodstock annehmen«, schoss ich

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