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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Geometrie klappten von selbst zu. George und Tom schreckten zusammen. Für Männer, die sich als immun gegen jeden Aberglauben betrachteten, waren die Mitglieder der Schule der Nacht erstaunlich schreckhaft.
    »Zuletzt blies der Priester eine Kerze aus, um anzuzeigen, dass die Hexe keine Seele hatte.« Witwe Beaton griff in die Flamme und drückte den Docht aus. Das Licht erlosch, und eine schlanke graue Rauchfahne stieg von der Kerze auf.
    Die Männer waren wie hypnotisiert. Selbst Matthew wirkte unruhig. Mittlerweile war nur noch das Knistern des Feuers und das unablässige blecherne Klingeln der Glocke zu hören.
    »Eine wahre Hexe kann das Feuer wieder entfachen, die Seiten des Buches wieder öffnen und die Glocke verstummen lassen. Vor den Augen Gottes ist sie ein wunderbares Wesen.« Witwe Beaton machte eine Pause, und der Blick aus ihrem milchigen Auge zielte nach einigem Rollen in meine Richtung. »Könnt Ihr all das vollbringen, Mädchen?«
    Zu meinen Zeiten wurden Hexenmädchen kurz nach ihrem dreizehnten Geburtstag dem örtlichen Konvent vorgestellt, und die Zeremonie erinnerte dabei gespenstisch an Witwe Beatons Prüfungen. Dann läuteten die Glocken vom Hexenaltar, um die junge Hexe in der Gemeinschaft willkommen zu heißen, auch wenn die Glocken inzwischen fast immer aus schwerem Silber gefertigt waren und auf Hochglanz poliert von einer Generation zur nächsten weitergereicht wurden. Statt einer Bibel oder eines mathematischen Buches wurde das Zauberbuch der jeweiligen Familie bereitgelegt, um dem Anlass geschichtliches Gewicht zu geben. Nur ein einziges Mal, zu meinem dreizehnten Geburtstag, hatte Sarah das Zauberbuch der Bishops aus dem Haus gelassen. Die Kerze gab es ebenfalls, und sie erfüllte denselben Zweck. Darum übten die jungen Hexen von frühester Kindheit an, Kerzen allein durch ihre Willenskraft zu entzünden und zu löschen.
    Meine Einführung in den Konvent von Madison hatte in einer Katastrophe geendet, und alle meine Verwandten hatten meiner Schmach beigewohnt. Zwei Jahrzehnte später plagten mich immer noch gelegentlich Albträume von Kerzen, die nicht entflammen wollten, von Büchern, die eigensinnig geschlossen blieben, und von der Glocke, die für jede Hexe außer mir läutete. »Ich weiß nicht recht«, gestand ich zögernd.
    »Versuch es«, ermunterte Matthew mich zuversichtlich. »Vor ein paar Tagen hast du eine ganze Reihe Kerzen angezündet.«
    Er hatte recht. Nach langen Jahren hatte ich es endlich geschafft, die ausgehöhlten Kürbisse, die an Halloween die Zufahrt zum Haus der Bishops erhellten, zum Leuchten zu bringen. Heute stupsten mich Kits und Toms Blicke erwartungsvoll an. Witwe Beatons Augen kitzelten mich kaum wahrnehmbar, aber Matthews vertraute kühle Aufmerksamkeit spürte ich umso deutlicher. Das Blut in meinen Adern vereiste augenblicklich, so als würde es sich weigern, das Feuer zu entfachen, das ich für diese Hexerei benötigte. Ich hoffte trotzdem das Beste, konzentrierte mich auf den Kerzendocht und murmelte den Zauberspruch.
    Nichts geschah.
    »Entspann dich«, murmelte Matthew. »Was ist mit dem Buch? Vielleicht fängst du lieber damit an?«
    Ganz abgesehen davon, dass bei der Hexerei die richtige Reihenfolge eine entscheidende Rolle spielte, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich über Euklids Elemente gebieten sollte. Sollte ich mich auf die Luft konzentrieren, die in den Papierfasern gefangen war, oder sollte ich eine Brise heraufbeschwören, die den Einband anhob? Unter dem unablässigen Läuten konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.
    »Könntet Ihr bitte die Glocke anhalten?«, flehte ich und merkte im selben Moment, wie ich in Panik geriet.
    Witwe Beaton schnippte mit den Fingern, und die Messingglocke plumpste auf den Tisch. Sie gab ein letztes Scheppern von sich, bei dem die verbeulten Ränder erbebten, und verstummte.
    »Es ist so, wie ich Euch erklärt habe, Master Roydon«, verkündete Witwe Beaton mit leisem Triumph. »Welchen Zauber Ihr auch beobachtet habt, er war nichts als Illusion. Diese Frau verfügt über keinerlei magische Kräfte. Das Dorf hat nichts zu befürchten.«
    »Vielleicht versucht sie dich in die Falle zu locken, Matthew«, stimmte Kit ein. »Ich würde ihr das durchaus zutrauen. Frauen sind falsche Wesen.«
    Andere Hexen hatten das Gleiche verkündet wie Witwe Beaton, und mit ähnlichem Triumph. Plötzlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als sie zu widerlegen und das wissende Lächeln von Kits Gesicht zu

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