Wo die Nacht beginnt
nicht dabei sein wird, wenn du aufwächst. Er weiß nur nicht, wie viel Zeit ihm mit dir noch bleibt.«
Ich sank auf die Bettkante. »Er war ein absoluter Fan der Boston Red Sox. Ich weiß noch, dass Mom sagte, 1975 sei das beste Herbstsemester seines Lebens gewesen, auch wenn Boston zuletzt doch noch von Cincinnati geschlagen wurde, denn da wurde sie schwanger, und Carlton Fisk hatte im sechsten Spiel der World Series einen Homerun.«
Matthew lachte leise. »Ich bin sicher, das Herbstsemester 1976 war trotzdem noch besser für ihn.«
»Haben die Sox da gewonnen?«
»Nein. Aber dein Vater.« Matthew küsste mich und pustete die Kerze aus.
Als ich am nächsten Tag vom Einkaufen nach Hause kam, sah ich meinen Vater im Salon unserer leeren Wohnung sitzen, Ashmole 782 aufgeschlagen im Schoß.
»Wo hast du das gefunden?«, fragte ich und legte meine Einkäufe auf dem Tisch ab. »Matthew hätte das verstecken sollen.« Ich hatte schon alle Hände voll zu tun, die Kinder von dem verflixten Kompendium fernzuhalten.
»Jack hat es mir gegeben. Er nennt es ›Mistress Roydons Monstrenbuch‹. Nachdem ich das gehört hatte, wollte ich es selbstverständlich unbedingt sehen.« Mein Vater blätterte um. Seine Finger waren kürzer als Matthews, eher stumpf und kraftvoll als schlank und gewandt. »Ist dies das Buch, aus dem die Illustration der Hochzeit stammt?«
»Ja. Es fehlen noch zwei andere Bilder: eines von einem Baum und eines von zwei Drachen, die ihr Blut vergießen.« Ich hielt inne. »Ich weiß nicht genau, wie viel ich dir sagen darf, Dad. Ich weiß manches über deine Beziehung zu diesem Buch, das du nicht weißt – weil es sich noch nicht ereignet hat.«
»Dann erzähl mir, was passiert ist, nachdem du es in Oxford entdeckt hast. Und ich will die Wahrheit hören, Diana. Ich kann die Fäden zwischen dir und dem Buch sehen, sie sind völlig zerfranst und verworren. Und jemand hat dir Schmerzen zugefügt.«
Drückende Stille lag über dem Raum, in dem es kein Entkommen vor dem scharfen Blick meines Vaters gab. Als ich es nicht mehr aushielt, sah ich ihm in die Augen.
»Das waren andere Hexen. Matthew war eingeschlafen, und ich ging nach draußen an die frische Luft. Eigentlich hätte mir nichts passieren dürfen. Eine Hexe entführte mich.« Ich rutschte auf meinem Stuhl herum. »Das wars auch schon. Reden wir über etwas anderes. Willst du nicht wissen, wo ich zur Schule ging? Ich bin Historikerin. Ich habe einen Lehrauftrag. In Yale.« Ich würde über alles mit meinem Vater reden – solange ich nicht über die Kette von Ereignissen sprechen musste, an deren Anfang ein mir zugeschicktes Foto stand und die mit Juliettes Tod endete.
»Später. Zuerst muss ich erfahren, warum eine andere Hexe so wild auf dieses Buch war, dass sie dich dafür getötet hätte. O ja«, beantwortete er meinen ungläubigen Blick, »ich weiß davon. Eine Hexe hat deinen Rücken mit einem Öffnungszauber aufgerissen und dir eine hässliche Narbe zugefügt. Ich kann die Wunde spüren. Matthews Blick lag verdächtig lange darauf, außerdem schirmt deine Drachin – ja, davon weiß ich auch – sie mit ihren Schwingen ab.«
»Satu – die Hexe, die mich entführt hat – ist nicht die Einzige, die das Buch in ihre Hände bekommen will. Peter Knox will es ebenfalls haben. Er ist ein Mitglied der Kongregation.«
»Peter Knox«, wiederholte mein Vater leise. »So, so, so.«
»Kennt ihr euch?«
»Leider ja. Er hatte immer eine Schwäche für deine Mutter. Zum Glück verabscheut sie ihn.« Mein Vater legte die Stirn in Falten und blätterte um. »Ich hoffe bei Gott, dass Peter nichts von den toten Hexen in diesem Buch ahnt. Die Seiten strahlen dunkle Magie aus, und Peter hat sich schon immer für diesen Aspekt unserer Künste interessiert. Ich kann mir vorstellen, warum er es gern besitzen möchte, aber wozu braucht ihr beide es so dringend?«
»Die nichtmenschlichen Kreaturen sterben allmählich aus, Dad. Die Dämonen werden immer unbeherrschter. Immer öfter können Vampire mit ihrem Blut keine Menschen transformieren. Und wir Hexen haben kaum noch Nachkommen. Wir verschwinden. Matthew glaubt, dieses Buch könnte uns verstehen helfen, warum das so ist«, erklärte ich ihm. »Es enthält Unmengen an genetischer Information – Haut, Haare, sogar Blut und Knochen.«
»Offenbar bist du mit dem Charles Darwin unter den Vampiren verheiratet. Und interessiert er sich genauso für die Ursprünge wie für das Ende der Arten?«
»O ja. Er
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