Wo die Nacht beginnt
ereiferte sich mein Vater. »Es gehört hierher. Ihr habt die Zeit schon genügend verzerrt, indem ihr so lange hiergeblieben seid.«
»Wir haben aufgepasst, Dad.« Seine Kritik traf mich.
»Aufgepasst? Ihr seid seit sieben Monaten hier. Ihr habt ein Kind gezeugt. Ich war nie länger als zwei Wochen in der Vergangenheit. Ihr seid keine Zeitwandler mehr. Ihr habt einen der schlimmsten Fehler begangen, den ein Anthropologe machen kann: Ihr habt euch den Ureinwohnern angeschlossen.«
»Ich war schon einmal hier, Stephen«, belehrte Matthew ihn milde, auch wenn seine Finger dabei auf seinen Schenkel trommelten. Das war nie ein gutes Zeichen.
»Dessen bin ich mir bewusst, Matthew«, schoss mein Vater zurück. »Aber du hast viel zu viele Variablen in die Vergangenheit eingebracht, als dass sie so bleiben könnte, wie sie bis dahin war.«
»Immerhin hat die Vergangenheit uns verändert.« Ich stellte mich dem zornigen Blick meines Vaters. »Da ist es doch nur gerecht, wenn wir sie auch verändern.«
»Zeitwandeln ist kein Spaziergang, Diana. Selbst für einen kurzen Besuch braucht man einen Plan – und dieser Plan sollte beinhalten, dass man alles so hinterlässt, wie man es vorgefunden hat.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl herum. »Ursprünglich wollten wir nicht so lange hierbleiben. Aber dann hat eines zum anderen geführt, und jetzt …«
»Jetzt habt ihr das reinste Chaos angerichtet. Und das werdet ihr wahrscheinlich auch vorfinden, wenn ihr zurückkehrt.« Mein Vater sah uns düster an.
»Ich hab’s verstanden, Dad. Wir haben es vermasselt.«
»Allerdings«, bestätigte er sanft. »Vielleicht denkt ihr darüber nach, während ich in die Schenke gehe. Im Cardinal’s Hat habe ich jemanden namens Gallowglass kennengelernt. Er behauptet, er sei ein Verwandter von Matthew und könnte mich mit Shakespeare bekannt machen, was meine eigene Tochter mir verwehrt hat.« Mein Vater gab mir einen Schmatz auf die Wange. Es war ein Kuss der Enttäuschung und des Verzeihens. »Wartet nicht auf mich.«
Matthew und blieben schweigend sitzen, bis die Schritte meines Vaters nicht mehr zu hören waren. Dann holte ich zittrig Luft.
»Haben wir wirklich so viel Unordnung gestiftet, Matthew?« Ich ließ die vergangenen Monate Revue passieren: Ich war Philippe begegnet, hatte Matthew dazu gezwungen, sich zu öffnen, Goody Alsop und die anderen Hexen kennengelernt, herausgefunden, dass ich eine Weberin war, mich mit Mary und den Frauen aus der Kleinseite angefreundet, Jack und Annie in unserem Haus und unseren Herzen aufgenommen, Ashmole 782 gefunden und, ja, ein Kind empfangen. Meine Hand legte sich schützend auf meinen Bauch. Nicht eines davon hätte ich missen mögen, wenn ich die Wahl gehabt hätte.
»Schwer zu sagen, mon cœur «, sagte Matthew düster. »Die Zeit wird es zeigen.«
»Ich dachte, wir könnten zu Goody Alsop gehen. Sie hilft mir, einen Spruch zu weben, mit dem wir in die Zukunft zurückkehren können.« Die Zauberkiste fest umklammernd, stand ich vor meinem Vater. Nach der Predigt, die er Matthew und mir gestern gehalten hatte, fühlte ich mich in seiner Gegenwart immer noch beklommen.
»Es wird Zeit«, sagte mein Vater und griff nach seiner Jacke. Er trug sie immer noch wie ein Mann der Moderne, zog sie aus, sobald er ein Haus betrat, und krempelte dann die Ärmel hoch. »Ich hätte nicht gedacht, dass meine dezenten Andeutungen tatsächlich zu dir durchdringen. Ich kann es nicht erwarten, eine erfahrene Weberin kennenzulernen. Und wirst du mir dann endlich zeigen, was du in diesem Kästchen hast?«
»Warum hast du nicht gefragt, wenn du das wissen wolltest?«
»Du hast es so sorgfältig mit diesem Schleierdingens abgedeckt, dass ich dachte, du möchtest nicht darauf angesprochen werden«, antwortete er, während wir nach unten gingen.
Als wir in St. James Garlickhythe ankamen, öffnete uns Goody Alsops lebender Schatten die Tür.
»Herein, herein«, sagte die Hexe und winkte uns zu ihrem Stuhl am Feuer. Ihre Augen strahlten voller Vorfreude. »Wir warten schon auf Euch.«
Der ganze Konvent war versammelt, und alle hielt es kaum auf ihren Stühlen.
»Goody Alsop, das ist mein Vater, Stephen Proctor.«
»Der Weber.« Goody Alsop strahlte glücklich. »Ihr seid wässrig wie Eure Tochter.«
Mein Vater hielt sich wie immer im Hintergrund, beobachtete alles und sagte so wenig wie möglich, während ich ihm die verschiedenen Hexen vorstellte. Alle Frauen nickten lächelnd, nur Catherine musste
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