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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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weg zu öffnen wie die Seiten eines Buches. Meine Feuerdrachin wand sich bei der ersten Gelegenheit zwischen den knochigen Kerkerstäben hindurch und schlug mit den grauen, substanzlosen Schwingen, die sich daraufhin verdichteten und zu schillern und zu glänzen begannen. Ihr Schwanz rollte sich lose zusammen, dann drehte sie mehrere Kreise durch den Raum. Sie fing die winzigen Lichtkugeln zwischen den Zähnen und schluckte sie wie Bonbons. Anschließend konzentrierte sie sich auf die Wasserblasen, die mein Vater fabriziert hatte, und schnappte danach, als wären sie aus feinstem Champagner. Als sie alle Leckereien vernascht hatte, schwebte sie vor mir in der Luft und ließ den Schwanz über den Boden peitschen. Mit schief gelegtem Kopf wartete sie ab.
    »Was bist du?«, fragte ich sie und rätselte dabei, wie sie die widerstreitenden Kräfte von Wasser und Feuer absorbiert hatte.
    »Du, aber nicht du.« Die Feuerdrachin blinzelte und sah mich mit einem glasigen Auge an. Auf ihrer spatenförmigen Schwanzspitze balancierte ein kreiselnder Ball aus purer Energie. Die Feuerdrachin ließ die Spitze vorschnellen und schleuderte den Ball in meine offenen Hände. Er sah genauso aus wie der, den ich Matthew in Madison gegeben hatte.
    »Wie heißt du?«, flüsterte ich.
    »Du kannst mich Corra nennen«, antwortete sie in einer Sprache aus Rauch und Nebel. Corra nickte zum Abschied, verschmolz zu einem grauen Schatten und verschwand. Ich spürte ihr Gewicht, als sie mit einem dumpfen Aufprall in meinem Inneren landete, dann schloss sie die Schwingen um meinen Rücken, und Stille kehrte ein. Ich holte tief Luft.
    »Das war toll, Schatz.« Mein Vater drückte mich. »Du hast wie das Feuer gedacht. Bei fast allem im Leben ist Empathie das Geheimnis – auch bei der Magie. Sieh nur, wie hell die Fäden jetzt strahlen!«
    Um uns herum erstrahlte die Welt in all ihren Möglichkeiten. Und in den Ecken mahnte das immer heller leuchtende indigoblaue und bernsteingelbe Gewebe, dass die Zeit allmählich die Geduld verlor.

38
    M eine zwei Wochen sind um. Es ist Zeit für mich zu gehen.«
    Ich hatte damit gerechnet, dass mein Vater das irgendwann sagen würde, aber seine Worte trafen mich trotzdem wie ein Faustschlag. Ich senkte die Lider, um meine Bestürzung zu überspielen.
    »Wenn ich nicht bald wieder auftauche, denkt deine Mutter noch, ich hätte mit einer Orangenverkäuferin angebandelt.«
    »Orangenverkäuferinnen gehören eher ins 17. Jahrhundert«, sagte ich gedankenverloren und zupfte an den Schnüren in meinem Schoß. Inzwischen machte ich stetige Fortschritte, bei schlichten Zaubern gegen Kopfschmerzen angefangen bis zu den komplexen Geweben, mit denen man Wellen auf der Themse produzieren konnte. Ich wand die goldene und blaue Schnur um meinen Finger. Stärke und Verständnis.
    »Wow. Gut gekontert, Diana.« Mein Vater wandte sich an Matthew. »Sie lässt sich nicht so leicht unterkriegen.«
    »Wem sagst du das«, erwiderte mein Gemahl ebenso spröde. Beide setzten ihren Humor ein, um die Kanten und Brüche in ihren sozialen Beziehungen zu übertünchen, und das machte sie zeitweise unerträglich.
    »Ich bin froh, dass ich dich kennengelernt habe, Matthew – trotz dieser furchterregenden Miene, die du aufsetzt, wenn du glaubst, ich würde Diana bedrängen«, sagte mein Vater lachend.
    Mit halbem Ohr bei ihrem Schlagabtausch, verzwirbelte ich die gelbe Schnur mit der gold-blauen. Überredung.
    »Kannst du bis morgen bleiben? Es wäre zu schade, wenn du die Feiern verpassen würdest.« Wir standen vor der Sommersonnwende, und die ganze Stadt war in Feierlaune. Schamlos appellierte ich an sein akademisches Interesse. »Du könntest so viele Volksbräuche beobachten.«
    »Volksbräuche?« Mein Vater lachte. »Sehr geschickt. Natürlich bleibe ich bis morgen. Annie hat mir schon einen Blumenkranz gewunden, und Will und ich werden mit Walter das Tabakrauchen probieren. Danach gehe ich Vater Hubbard besuchen.«
    Matthew stutzte. »Du kennst Hubbard?«
    »Aber natürlich. Ich habe mich gleich nach meiner Ankunft mit ihm bekannt gemacht. Das musste ich, schließlich hält er hier alle Fäden in der Hand. Vater Hubbard erkannte ziemlich schnell, dass ich Dianas Vater bin. Ihr Vampire habt wirklich einen ganz erstaunlichen Geruchssinn.« Mein Vater sah Matthew wohlwollend an. »Ein interessanter Mann – mit seiner Auffassung, alle nichtmenschlichen Kreaturen könnten als große, glückliche Familie zusammenleben.«
    »Das wäre das

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