Wo die Nacht beginnt
Roydon.« Hubbard lehnte sich zurück und schloss halb die Augen.
»Was wollt Ihr …« Ich stockte. »Nein.«
»Gott tut nichts umsonst. In Seinem Plan ist kein Platz für Willkür. Er wollte, dass Ihr heute zu mir kommt, weil Er sicher sein will, dass niemand aus Eurem Geblüt etwas von mir oder den Meinen zu befürchten hat.«
»Ich habe schon genug Beschützer«, protestierte ich.
»Gilt das auch für Euren Gemahl?« Hubbard sah auf meine Brust. »Euer Blut fließt stärker durch seine Adern als bei Eurer Ankunft. Und dann wäre da noch das Kind.«
Mein Herz begann zu stottern. Wenn ich meinen Matthew mit in die Gegenwart nahm, würde Andrew Hubbard zu den Wenigen gehören, die seine Zukunft kannten – und wussten, dass er sie mit einer Hexe verleben würde.
»Ihr würdet dieses Wissen nicht gegen Matthew einsetzen. Nicht nach dem, was er getan hat – nachdem er sich so verändert hat.«
»Wirklich nicht?« Hubbards angespanntes Lächeln verriet mir, dass er vor nichts zurückschrecken würde, um seine Herde zu beschützen. »Zwischen uns gibt es viel böses Blut.«
»Ich werde mir etwas anderes überlegen, um sie zu schützen.« Ich wandte mich zum Gehen.
»Annie ist bereits mein Kind. Sie ist eine Hexe und ein Teil meiner Familie. Ich werde mich um sie kümmern. Bei Jack Blackfriars sieht das anders aus. Er ist keiner von uns und wird für sich selbst sorgen müssen.«
»Er ist noch ein Kind – ein Junge!«
»Aber er ist nicht mein Kind. Genauso wenig wie Ihr. Ich bin weder Euch noch ihm etwas schuldig. Guten Tag, Mistress Roydon.« Jetzt wandte sich Hubbard um.
»Und wenn ich zu Eurer Familie gehören würde? Würdet Ihr dann meine Bitte erfüllen und Jack in Eure Obhut nehmen? Würdet Ihr Matthew als jemanden von meinem Blut anerkennen und ihn unter Euren Schutz stellen?« Ich musste auch an den Matthew des 16. Jahrhunderts denken. Dieser Matthew würde in der Vergangenheit bleiben, wenn wir in die Gegenwart zurückkehrten.
»Wenn Ihr mir Euer Blut anbietet, haben weder Matthew noch Jack oder Euer ungeborenes Kind etwas von mir oder den Meinen zu befürchten.« Hubbard verkündete das vollkommen leidenschaftslos, aber in seinen Augen leuchtete die gleiche Habgier, die ich schon in Rudolfs Blick gesehen hatte.
»Und wie viel Blut bräuchtet Ihr dafür?« Überlege. Und überlebe.
»Nur wenig. Ein einziger Tropfen würde genügen.« Hubbards Blick war unverwandt auf mich gerichtet.
»Ich könnte Euch keinesfalls direkt aus meinem Körper trinken lassen. Matthew würde das merken – schließlich ist er mein Gemahl«, sagte ich. Hubbards Blick huschte über meine Brust.
»Ich hole mir meinen Tribut immer direkt aus dem Hals meiner Kinder.«
»Das tut Ihr gewiss, Vater Hubbard. Aber Ihr werdet verstehen, dass das in diesem Fall weder möglich noch wünschenswert ist.« Ich verstummte und hoffte, dass Hubbards Hunger – nach Macht, nach Wissen über Matthew und mich, nach etwas, das er im Notfall gegen die de Clermonts verwenden konnte – siegen würde. »Ich könnte eine Schale nehmen.«
»Nein.« Hubbard schüttelte den Kopf. »Damit wäre Euer Blut befleckt. Es muss rein sein.«
»Dann eine Silberschale«, sagte ich und dachte dabei an das, was mir der Koch auf Sept-Tours beigebracht hatte.
»Ihr werdet die Ader an Eurem Handgelenk öffnen und das Blut in meinen Mund tröpfeln lassen. Wir werden uns nicht dabei berühren.« Hubbard sah mich finster an. »Andernfalls weiß ich, dass Euer Angebot nicht ernst gemeint ist.«
»Gut, Vater Hubbard. Ich akzeptiere Eure Bedingungen.« Ich löste das Band an meinem rechten Ärmel und schob den Stoff zurück. Dabei flüsterte ich Corra eine stumme Bitte zu. »Wo wollt Ihr das tun? Ich habe gesehen, dass Eure Kinder sonst vor Euch niederknien, aber das geht nicht, wenn das Blut in Euren Mund tropfen soll.«
»Es ist ein Sakrament. Gott interessiert es nicht, wer dabei kniet.« Zu meiner Überraschung sank Hubbard vor mir auf die Knie. Er reichte mir ein Messer.
»Das brauche ich nicht.« Ich schnippte mit dem Finger über dem blauen Adergeflecht an meinem Handgelenk und murmelte einen einfachen Lösungsspruch. Sofort bildete sich ein scharlachroter Strich. Das Blut quoll hervor.
Den Blick fest auf mich gerichtet, öffnete Hubbard den Mund. Er wartete nur darauf, dass ich im letzten Moment zurückschreckte oder ihn irgendwie zu betrügen versuchte. Aber ich würde mich an unsere Abmachung halten, und zwar wortgetreu, wenn auch nicht so, wie er
Weitere Kostenlose Bücher