Wo die Nacht beginnt
mit diesem Stück Holz zu verlängern.«
Mit diesen paar Worten veränderte Thomas Harriot den Verlauf der Wissenschaftsgeschichte. Dabei brauchte ich mich gar nicht einzumischen – ich musste nur dafür sorgen, dass die Vergangenheit nicht vergessen wurde.
»Aber das sind nur müßige Gedankenspiele. Ich werde sie irgendwann zu Papier bringen und später darüber nachdenken.« Tom seufzte.
Das war das Problem bei vielen Wissenschaftlern der Frühmoderne: Sie verstanden nicht, wie wichtig es war, ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. Und Thomas Harriots Ideen waren eindeutig untergegangen, weil er keinen Verleger gefunden hatte.
»Ich glaube, Ihr habt recht, Tom. Aber dieses Holzrohr ist keinesfalls lang genug.« Ich lächelte ihn fröhlich an. »Und ich würde nicht zu dem Schreiner in St. Dunstan’s gehen, denn Monsieur Vallin wäre hilfreicher, falls Ihr ein langes Rohr benötigt. Sollen wir ihm einen Besuch abstatten?«
»Au ja!« Jack machte einen Luftsprung. »Bei Monsieur Vallin gibt es alle möglichen Räder und Federn, Master Harriot. Er hat mir eine geschenkt, und ich habe sie in mein Schatzkästchen gelegt. Das ist zwar nicht so groß wie das von Mistress Roydon, aber es hat Platz genug. Können wir gleich losgehen?«
»Was hat Tantchen jetzt vor?«, fragte Gallowglass Matthew. Beide sahen uns verwundert und argwöhnisch nach.
»Ich glaube, sie rächt sich an Walter dafür, dass er nicht genügend auf die Zukunft achtet«, erklärte Matthew milde.
»Ach so. Dann ist das in Ordnung. Und ich dachte schon, das gäbe Ärger.«
»Ärger kann es immer geben«, sagte Matthew. »Und du bist sicher, dass du weißt, was du tust, ma lionne?«
Es war so vieles geschehen, wogegen ich nichts unternehmen konnte. Ich konnte weder mein erstes Kind zurückholen noch die Hexen in Schottland retten. Wir hatten Ashmole 782 aus Prag hierhergebracht, um dann festzustellen, dass wir es nicht ungefährdet in die Zukunft bringen konnten. Wir hatten uns von unseren Vätern verabschiedet und würden in Kürze unsere Freunde verlassen müssen. Die meisten dieser Erfahrungen würden spurlos ausgelöscht. Aber ich wusste genau, wie ich sicherstellen konnte, dass Toms Teleskop überlebte.
Ich nickte. »Die Vergangenheit hat uns verändert, Matthew. Warum sollten wir sie nicht auch verändern?«
Matthew nahm meine Hand und küsste sie. »Dann geht zu Monsieur Vallin. Sag ihm, er soll mir die Rechnung schicken.«
»Danke.« Ich beugte mich vor und flüsterte ihm ins Ohr: »Keine Angst. Ich nehme Annie mit. Sie wird ihn herunterhandeln. Und wer weiß im Jahr 1591 schon, was man für ein Teleskop berechnen kann?«
So statteten eine Hexe, ein Dämon, zwei Kinder und ein Hund Monsieur Vallin an diesem Nachmittag einen Besuch ab.
Während ich mich mit Teleskopen und anschließend mit Menüfolgen für das Abschiedsessen für unsere Freunde herumschlug, lieferte Matthew Roger Bacons Verum Secretum Secretorum in Mortlake ab. Ich wollte nicht mitansehen, wie Ashmole 782 bei Dr. Dee landete. Ich wusste, dass es in die riesige Bibliothek des Alchemisten zurückkehren musste, damit Elias Ashmole das Manuskript im 17. Jahrhundert erwerben konnte. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, es jemand anderem anzuvertrauen, so wie es mir auch nicht leichtgefallen war, bei unserer Ankunft Kit die Statuette der Göttin Diana zu überlassen. Die praktischen Einzelheiten unserer Abreise überließen wir Gallowglass und Pierre. Sie packten Koffer, leerten Schatullen, verteilten Gelder und schickten Matthews persönliche Habseligkeiten in die Old Lodge, alles mit einer Effizienz, die zeigte, wie oft sie das schon getan hatten.
Schon in wenigen Stunden würden wir abreisen. Als ich, beladen mit einem in weiches Leder geschlagenen, unhandlichen Paket, auf dem Rückweg von Monsieur Vallin war, ließ mich der Anblick eines zehnjährigen Mädchens innehalten, das vor der Pastetenbäckerei auf der Straße stand und fasziniert die Waren in der Auslage betrachtete. Sie erinnerte mich an mich selbst in diesem Alter, angefangen bei den störrischen Haaren bis zu den Armen, die viel zu lang für den Rest des Körpers schienen. Die Kleine erstarrte, als würde sie spüren, dass sie beobachtet wurde. Als sich unsere Blicke trafen, wusste ich warum: Sie war eine Hexe.
»Rebecca!«, rief eine Frau, die in diesem Moment aus dem Laden trat. Bei ihrem Anblick setzte mein Herz einen Schlag aus, denn sie sah aus wie eine Mischung aus meiner Mutter und Sarah.
Rebecca
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