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Wo die Nacht beginnt

Wo die Nacht beginnt

Titel: Wo die Nacht beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Harkness
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Art von namenloser, gesichtsloser Geschichtsschreibung, fast als wären die Menschen hinter diesen Aufzeichnungen weniger wichtig, nur weil sie anonym blieben.
    Auf den verbliebenen Seiten entdeckte sie eine Auflistung aller englischen Münzen, die im 16. Jahrhundert im Umlauf gewesen waren, sowie ihres Wertes. Weiter hinten fand sich eine hastig niedergeschriebene Kleidungsliste: ein Umhang, zwei Paar Schuhe, ein mit Pelz besetztes Kleid, sechs Jacken, vier Unterröcke und ein Paar Handschuhe. Es gab ein paar vereinzelte mit Datum versehene Einträge, die keinerlei Sinn ergaben, und ein Rezept für ein Mittel gegen Kopfschmerzen – ein Gebräu aus Milch und Wein. Rima lächelte und fragte sich, ob es wohl gegen ihre Migräne helfen würde.
    Sie hätte das Bändchen schon längst in die gesicherten Lagerräume im dritten Stock bringen sollen, in denen die Manuskripte aufbewahrt wurden, aber aus irgendeinem Grund wollte sie es nicht aus der Hand geben. Es war klar, dass eine Frau es geschrieben hatte. Die runden Buchstaben wirkten einnehmend zittrig und unsicher, und die Worte schlängelten sich unbeholfen über die großzügig mit Tintenklecksen besprenkelten Seiten. Kein gebildeter Mann des 16. Jahrhunderts schrieb so, wenn er nicht gerade krank oder ein Greis war. Die Verfasserin dieses Buches war keines von beiden. Die Einträge zeichneten sich durch eine lebhafte Wissbegier aus, die in merkwürdigem Kontrast zu der unsicheren Handschrift stand.
    Sie hatte das Manuskript Javier López vorgelegt, dem charmanten, aber leider absolut unqualifizierten Leiter des Archivs, den die letzten Nachfahren aus dem Hause Gonçalve beauftragt hatten, den Familiensitz mitsamt den verbliebenen persönlichen Habseligkeiten in eine Bibliothek mit angeschlossenem Museum umzuwandeln. Sein riesiges Büro im Erdgeschoss war mit feinem Mahagoni vertäfelt und als einziger Raum im ganzen Gebäude mit einer funktionierenden Heizung ausgestattet. Während der kurzen Unterredung hatte er ihren Vorschlag, das Journal genauer untersuchen zu lassen, rundweg abgelehnt. Außerdem hatte er ihr untersagt, Fotos aufzunehmen, damit sie sich mit Kollegen im Vereinigten Königreich austauschen konnte. Als sie ihm erzählt hatte, dass dieses Buch ihrer Meinung nach von einer Frau verfasst worden war, hatte er etwas von Feministinnen gebrummelt und sie aus seinem Büro geschickt.
    Seither lag das Buch auf ihrem Schreibtisch. In Sevilla würde so ein Buch immer ungelesen und ohne Bedeutung bleiben. Niemand reiste nach Spanien, um dort nach englischen Journalen zu suchen. Die landeten in der British Library oder in der Folger Shakespeare Library in den Vereinigten Staaten.
    Es gab da diesen eigenartigen Mann, der ab und zu hereinschneite, um die Sammlungen zu durchforsten. Er war Franzose, und sein prüfender Blick war Rima ausgesprochen unangenehm. Herbert Cantal – vielleicht auch Gerbert Cantal. Sie wusste es nicht mehr mit Sicherheit. Bei seinem letzten Besuch hatte er eine Karte hinterlassen und sie ermuntert, ihn anzurufen, falls etwas Interessantes auftauchen sollte. Als Rima fragte, wonach genau er suche, hatte der Mann erwidert, er sei an allem interessiert. Was nicht gerade eine hilfreiche Antwort war.
    Jetzt war tatsächlich etwas Interessantes aufgetaucht. Dummerweise war stattdessen die Visitenkarte des Mannes verschwunden, obwohl Rima den ganzen Schreibtisch freigeräumt hatte, um sie zu finden. Sie würde warten müssen, bis er wieder aufkreuzte, bevor sie ihm ihr kleines Buch vorlegen konnte. Vielleicht würde er mehr Interesse daran zeigen als ihr Boss.
    Rima schlug die Seiten um. Zwischen zwei Blättern lagen ein winziger Lavendelzweig und ein paar zerkrümelte Rosmarinnadeln. Sie hatte sie anfangs nicht gesehen und zupfte sie jetzt vorsichtig aus der Bindung. Einen Moment stieg eine Ahnung von Lavendelduft aus der verblichenen Blüte auf und schuf ein Band zwischen ihr und der Frau, die vor Hunderten von Jahren gelebt hatte. Rima lächelte melancholisch.
    » Más basura.« Daniel aus dem Hausmeistertrupp war wieder da, mit verdrecktem Kittel, nachdem er weitere Kartons vom Speicher geholt hatte. Er schob die aufgestapelten Schachteln von dem abgenutzten Rollwagen auf den Boden. Obwohl es kühl war, stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Er wischte ihn weg und hinterließ dabei einen schwarzen Schmierer. » Café?«
    Es war das dritte Mal in dieser Woche, dass er sie fragte. Rima wusste, dass er sie attraktiv fand. Manche Männer

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