Wo die Nacht beginnt
fertig«, deutete ich auf meinen Teller, »und die anderen sind es auch nicht. Setz dich zu mir, und trink etwas Wein.« Matthew war ein echter Renaissanceprinz und führte sich auch so auf, trotzdem würde ich nicht auf jedes Fingerschnippen hin Männchen machen.
Matthew setzte sich neben mich, und ich zwang mich, noch etwas von meinem Hühnchen zu essen. Als die Spannung unerträglich wurde, stand ich auf. Wieder schabten die Bänke über den Steinboden, und alle Anwesenden erhoben sich.
»Schon fertig?«, fragte Philippe überrascht. »Dann wünsche ich Euch eine gute Nacht, Diana. Matthew, du wirst unverzüglich zurückkehren. Ich verspüre den eigenartigen Wunsch nach einer Partie Schach.«
Matthew ignorierte seinen Vater und reichte mir seinen Arm. Ohne ein Wort zu wechseln, durchschritten wir den Saal und stiegen die Treppe hinauf zu meinen Gemächern. Vor meiner Tür hatte sich Matthew wenigstens so weit in der Gewalt, dass er riskieren konnte, mit mir zu sprechen.
»Philippe behandelt dich wie eine bessere Haushälterin. Das ist unerträglich.«
»Dein Vater behandelt mich wie eine Frau seiner Zeit. Ich komme schon damit zurecht, Matthew.« Ich holte tief Luft und nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Wann hast du dich zum letzten Mal von etwas genährt, das auf zwei Beinen geht?« Ich hatte ihn gezwungen, mein Blut zu trinken, bevor wir Madison verlassen hatten, und er hatte sich an einem namenlosen Warmblüter in Kanada gütlich getan. Mehrere Wochen davor hatte er in Oxford Gillian Chamberlain getötet. Vielleicht hatte er auch ihr Blut getrunken. Ansonsten war, soweit ich das einschätzen konnte, nichts als Tierblut über seine Lippen gekommen.
»Wieso fragst du?«, fragte Matthew scharf.
»Philippe sagt, du bist nicht so stark, wie du eigentlich sein müsstest.« Ich nahm seine Hand und drückte sie. »Wenn du Kraft brauchst und nicht das Blut eines Fremden trinken willst, dann nimm meines.«
Bevor Matthew etwas darauf erwidern konnte, hörte ich ein leises Lachen von der Treppe her. »Nehmt Euch in Acht, Diana. Wir Manjasang haben scharfe Ohren. Wenn Ihr in diesem Haus jemandem Euer Blut anbietet, werdet Ihr die Wölfe niemals im Zaum halten können.« Philippe lehnte mit verschränkten Armen unter dem Torbogen.
Matthew drehte ihm wütend den Kopf zu. »Verschwinde, Philippe.«
»Die Hexe kennt keine Furcht. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie ihren Einfällen nicht unüberlegt nachgibt. Andernfalls könnte sie uns zerstören.«
»Die Hexe gehört zu mir«, widersprach Matthew eisig.
»Noch nicht.« Philippe schüttelte bedauernd den Kopf und verschwand über die Treppe nach unten. »Vielleicht wird sie das nie.«
Nach diesem Wortwechsel wurde Matthew noch abweisender und verschlossener. Den ganzen nächsten Tag war er wütend auf seinen Vater, aber statt seinen Ärger an ihm auszulassen, fuhr er jeden anderen an: mich, Alain, Pierre, den Koch und jede Kreatur, die das Pech hatte, ihm über den Weg zu laufen. Wegen des bevorstehenden Festmahles befand sich der Haushalt im Ausnahmezustand, und so stellte Philippe seinen Sohn, nachdem er dessen finstere Stimmung ein paar Stunden ertragen hatte, vor die Wahl. Er konnte seine schlechte Laune entweder wegschlafen oder etwas zu sich nehmen. Matthew entschied sich für eine dritte Möglichkeit und machte sich in den Archiven der de Clermonts auf die Suche nach einem Hinweis darauf, wo sich Ashmole 782 befinden könnte. Ich blieb damit mir selbst überlassen und kehrte in die Rezeptur zurück.
Philippe entdeckte mich in Marthes Raum, umgeben von waberndem Dampf und mit hochgekrempelten Ärmeln über den nicht funktionierenden Destillierkolben gebeugt.
»Hat Matthew dein Blut getrunken?«, fragte er ohne weitere Vorrede und tastete mit seinem Blick meine Unterarme ab.
Ich hob statt einer Antwort beide Arme. Das weiche Leinen rutschte auf meine Schultern und gab dabei die rosa Spuren einer unregelmäßigen Narbe in meiner Ellbeuge frei. Ich hatte mir die Haut geritzt, damit Matthew leichter an mein Blut kam.
»Woanders auch?« Philippes Blick kam auf meinem Bauch zu liegen.
Mit der anderen Hand entblößte ich meinen Hals. Dort war die Wunde tiefer, aber nachdem ein Vampir sie geschlagen hatte, war sie viel sauberer.
»Was für eine Torheit, einen vernarrten Manjasang nicht nur an deinem Arm, sondern auch an deinem Hals trinken zu lassen«, erklärte Philippe bass erstaunt. »Der Pakt verbietet es den Manjasang, Blut von Hexen oder Dämonen
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