Wo die Nelkenbaeume bluehen
den anderen zurückkehrte.
Stephen schaute ihr nach. Fassungslos.
Aber was hatte er erwartet? Dass sie ihn mit offenen Armen empfing? Sicherlich nicht.
Dass sie ihn einfach so stehen lassen würde, ohne ihn auch nur anzuhören, allerdings auch nicht.
Der Vorschlag, den er ihr hatte machen wollen, war in seinen Augen wirklich zu ihrer aller Vorteil. Angesichts der Schließung durch das Gesundheitsministerium und die daraus resultierenden Verluste konnte Lena doch nicht allen Ernstes daran festhalten, die Farm weiterbetreiben zu wollen. Und für den Fall, dass sie sich zu einem Verkauf an ihn entschließen konnte, war er bereit, ihr zu garantieren, dass alle Angestellten der Bennett Spice and Clove Farm einen Job in der Alistair Hotelgruppe bekommen würden.
Doch Lena hatte ihn ja nicht einmal zu Wort kommen lassen!
Mit einem unterdrückten Fluch riss er die Wagentür wieder auf und wollte gerade einsteigen, als er in einiger Entfernung jemanden rufen zu hören glaubte. Er blieb stehen und lauschte.
Ja, da war es wieder.
Er runzelte die Stirn. Es klang, als würde jemand um Hilfe rufen!
Ohne lange darüber nachzudenken, lief er los. Dabei ignorierte er, dass einer der Männer am Lagerfeuer lautstark protestierte und ihm folgte, geradewegs in den Wald hinein, der in der hereinbrechenden Dunkelheit wie eine massive Mauer wirkte. Doch er kannte das Grundstück noch von früher wie seine Westentasche. Jeder Schritt war ihm vertraut. Und das Rufen wurde lauter, je näher er zum Strand kam.
Er beschleunigte sein Tempo. Der Mann hinter ihm hatte Mühe mitzuhalten. Doch inzwischen musste auch er die Hilferufe vernommen haben. Jedenfalls hatte er aufgehört, Stephen nachzubrüllen, dass er anhalten sollte.
Das Rauschen der Brandung wurde lauter, und dann war die Stimme plötzlich ganz nah.
Stephen blieb abrupt stehen und blinzelte irritiert.
Die Rufe kamen von oben!
„Hilfe!“, erklang die Stimme ein weiteres Mal, und erst jetzt realisierte Stephen, wie jung sie klang. „Ich kann mich nicht mehr lange halten!“
Suchend blickte Stephen sich um. Dann entdeckte er einen dunklen Schatten, der sich gegen den blauschwarzen Nachthimmel abhob, und erfasste die Situation mit einem Blick.
Der Junge war – warum auch immer – auf eine Kokospalme geklettert und kam jetzt weder vor noch zurück.
Stephen unterdrückte einen Fluch. „Keine Angst, ich komme!“, rief er laut; dann atmete er tief durch und fing an zu klettern.
15. KAPITEL
Mji Mkongwe, Sansibar, November 1887
Annemarie fühlte sich so nervös und angespannt, als würde ein ganzer Schwarm Ameisen unmittelbar unter ihrer Haut herumkrabbeln.
Vor etwas mehr als einer halben Stunde hatte sie das Haus verlassen. Wilhelm gegenüber hatte sie behauptet, einen Spaziergang machen zu wollen. Nicht, dass es ihn etwas anging. Aber ihr Butler war nun einmal Albrechts Spion, und daher durfte er auf keinen Fall Verdacht schöpfen.
Sie glaubte nicht, dass er Verdacht geschöpft hatte, obwohl ihr selbst das leichte Zittern in ihrer Stimme so auffällig vorgekommen war. Dennoch blickte sie sich immer wieder nervös über die Schulter.
Als ob das irgendeinen Unterschied machte. Wenn Wilhelm ihr wirklich nachging, dann würde er dafür sorgen, dass sie ihn nicht bemerkte. Aber spätestens als sie den Marktplatz erreichte und im Labyrinth der unzähligen Wagen und Stände untertauchte, war sie sicher, dass niemand ihr folgte.
Das Gedränge war unbeschreiblich. Jedes noch so winzige Fleckchen Erde wurde genutzt, um darauf Käfige mit Hühnern oder Enten zu stapeln, deren aufgeregtes Gackern und Krähen sich mit dem Geschrei der Händler, die lautstark ihre Waren anpriesen, und dem Gewirr von Stimmen, das in seiner Vielzahl wie ein dröhnendes Summen klang, zu einer ohrenbetäubenden Kakofonie vermischte.
Gerüche drangen von allen Seiten auf Annemarie ein. Einige davon angenehm, wie der Duft von frischem Pfeffer, Kardamom und Gewürznelken. Andere widerwärtig, schwer und fettig, die Annemarie eine leichte Übelkeit verursachten.
Sie atmete fast schon erleichtert auf, als sie den Markt endlich hinter sich lassen konnte. Die Gassen, die sie nun durchquerte, wirkten auf sie nach dem Gedränge, dem sie soeben entkommen war, beinahe wie ausgestorben. Doch wenn man näher hinsah, bemerkte man Schatten hinter den Fenstern, deren Vorhänge sich in der leichten Brise bauschten. Frauen, die in den Hauseingängen saßen und ihre Kinder hüteten. Männer, die mit gesenkten
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