Wo die Nelkenbaeume bluehen
aufzunehmen.
Aber wollte sie das? Wollte sie zurück nach Berlin und dort praktisch in den vorzeitigen Ruhestand treten?
Die Antwort lautete: Nein.
Und was würde Andy von ihr erwarten?
Daheim in Berlin erinnerte sie alles immer nur an ihn. Vor allem an jene letzten Monate, als er reglos und bleich in seinem Krankenbett gelegen hatte. Ohne jede Hoffnung, dass er jemals wieder aufwachen würde …
Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Körper. Nein. Sie hatte es lang genug in Berlin versucht, um zu wissen, dass die Geister der Vergangenheit sie niemals in Frieden lassen würden. Im Grunde hatte sie nur die Wahl gehabt, sich in ihr Schicksal zu ergeben und langsam, aber sicher zugrunde zu gehen, oder sich aufzurappeln und irgendwo noch einmal ganz von vorn anzufangen.
Warum nicht hier? Warum nicht auf Sansibar?
Auch später, als sie auf dem Rückweg nach Stone Town in dem Taxi saß, das Aaliyah ihr gerufen hatte, ging ihr diese Frage nicht aus dem Kopf. War dies ihre große Chance oder einfach nur ein Strohhalm, an den sie sich klammerte, um ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben?
Ohne lange darüber nachzudenken, nahm sie ihr Handy und wählte Patricks Nummer.
„Lena?“, meldete er sich nach dem x-ten Klingeln mit verschlafener Stimme. „Sag mal, weißt du eigentlich, wie spät es ist?“
Erst jetzt warf sie einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett des Taxis und bekam ein schlechtes Gewissen. Schon nach zwei. Das bedeutete, dass es zu Hause in Berlin auch schon ein Uhr durch war.
„Tut mir leid, ich habe nicht auf die Zeit geachtet. Leg dich wieder hin, ich rufe morgen noch mal an.“
„Nein, nein“, widersprach Patrick hastig. „Nicht nötig. Du weißt doch, dass ich immer für dich da bin, wenn du mich brauchst. Was hast du also auf dem Herzen, Liebes?“
Sie atmete tief durch. „Ich habe die Farm gefunden, von der Andy immer gesprochen hat.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Dann hast du ja erreicht, was du wolltest – herzlichen Glückwunsch. Aber …“ Sie konnte förmlich vor sich sehen, wie Patricks Stirn sich in Falten legte, wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. „Das ist noch nicht alles, oder? Was ist los, Lena? Raus mit der Sprache.“
Nun war es Lena, die zögerte. Patrick hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er ihre Reise nach Sansibar für ein völlig verrücktes und unsinniges Unterfangen hielt. Was mochte er erst von ihrer Idee halten, möglicherweise die Spice Farm zu kaufen?
„Andys Onkel ist vor Kurzem gestorben und hat die Gewürzfarm seinen Arbeitern hinterlassen – leider bis unters Dach verschuldet.“ Kurz fasste sie für Patrick zusammen, was sie von Aaliyah und den anderen erfahren hatte. „Der Farm droht nun die Zwangsversteigerung, und die Angestellten fürchten um ihre Existenzen.“
„Das ist wirklich traurig, aber … was hat das mit dir zu tun, Lena?“
„Nun, ich dachte, da ich doch die Auszahlung von Andys Lebensversicherung erhalten habe und …“
„Nein, Lena, nein!“, fiel Patrick ihr energisch ins Wort. „Das ist hoffentlich nicht dein Ernst! Du willst nicht das Geld aus der Lebensversicherung für irgendeine heruntergewirtschaftete Gewürzfarm am andern Ende der Welt verpulvern! Lena, bitte!“
Sie schüttelte den Kopf. Was hatte sie erwartet? Patrick war immer der Vorsichtige, der Vernünftige ihres Dreiergespanns gewesen. Manchmal, wenn Andy mit einer aufregenden neuen Romanidee vorgeprescht war, hatte Patrick ihn gebremst und ihm klargemacht, dass sein Metier die Jugendromane waren. Und Andy hatte immer auf ihn gehört – auch wenn Lena glaubte, dass er insgeheim manchmal sehr unglücklich damit gewesen war.
Und auch dieses Mal schien Patrick nicht zu verstehen, worum es eigentlich ging.
„Andy hat dieses Stück Land geliebt, Patrick. Und er kannte die meisten der Menschen, die ich heute kennengelernt habe. Wenn er davon gewusst hätte, dann hätte er doch niemals zugelassen, dass die Gewürzfarm dem Erdboden gleichgemacht wird und die Arbeiter vertrieben werden. Denkst du nicht, er hätte sich gewünscht, dass ich, jetzt, wo er nicht mehr dazu in der Lage ist, diese Aufgabe für ihn übernehme?“
„Nein“, entgegnete Patrick nach kurzem Überlegen. Er seufzte. „Hör zu, Liebes, es mag sein, dass Andy nostalgische Gefühle für diese Farm und die Menschen, die auf ihr leben, gehegt hat. Aber eines weiß ich ganz gewiss: Er hätte nicht gewollt, dass du dich Hals über Kopf in
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