Wo die Nelkenbaeume bluehen
empfand sie zugleich auch eine tiefe Dankbarkeit. Das alles – die lange Reise, all die fremden Eindrücke und nun auch noch die Nachricht, dass ihre einzige Spur sich womöglich im Sande verlaufen würde – war zu viel für sie. Sie verdankte es nur der Freundlichkeit dieser Menschen, die sie nicht einmal kannte, dass sie nicht einfach zusammengeklappt war.
„Geht es wieder?“ Die Frau im schwarzen Kleid war wieder da, ging vor ihr in die Hocke und musterte sie forschend. Lena schätzte sie auf etwa Mitte bis Ende vierzig. In ihr krauses schwarzes Haar, das sie zu einem Knoten im Nacken zusammengefasst trug, mischten sich bereits grauweiße Strähnen, doch ihr rundliches Gesicht war bemerkenswert faltenlos, sah man einmal von ein paar Lachfältchen um den Mund herum ab. Sie hatte volle Lippen und warmherzige Augen, deren Farbe an geschmolzene Schokolade erinnerte. Ein nettes, freundliches Gesicht. Attraktiv, wenn auch nicht im klassischen Sinne schön.
Lena nickte und brachte ein schwaches Lächeln zustande. „Ja, es geht schon besser. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte. Ich war einfach … nun, geschockt trifft es wohl am ehesten. Als Sie vorhin sagten, dass Rafe Bennett gestorben ist …“ Lena atmete tief durch. „Ich habe die ganze Reise von Deutschland hierher auf mich genommen, um nach der Familie meines Verlobten zu suchen. Aber wie es scheint, bin ich zu spät gekommen. Kannten Sie Rafe Bennett gut? Aber, Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.“ Sie streckte der Frau die Hand entgegen. „Mein Name ist Lena. Lena Bluhm.“
„Freut mich sehr, Lena Bluhm“, entgegnete die Frau, und ihre Lippen teilten sich zu einem strahlenden Lächeln. „Ich heiße Aaliyah Maalouf.“ Sie deutete auf einen Mann und einen Jungen, die ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet waren. „Und dies sind mein Mann Fadhil und mein Sohn Hashim. Ich habe den Haushalt für Mr Bennett geführt, und mein Mann war seine rechte Hand bei der Leitung der Gewürzfarm. Daher würde ich sagen, dass wir ihn ziemlich gut gekannt haben.“ Sie seufzte. „Er war kein ganz einfacher Mann, stur und verstockt, und dazu, was Fremde betraf, äußerst kontaktscheu. Aber wir haben gelernt, mit ihm zurechtzukommen. Immerhin hat er uns Arbeit und ein Dach über den Kopf gegeben.“ Sie machte eine weitgreifende Handbewegung in die Runde. „Wir alle hier haben für Mr Bennett gearbeitet. Und mit seinem Tod brechen für uns sehr unsichere Zeiten an.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich rede immerzu nur von mir. Sie sagten, Sie sind extra aus Deutschland gekommen, um Mr Bennett zu treffen. Warum?“
„Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte“, antwortete Lena seufzend. „Mein Verlobter hat in seiner Jugend einige Zeit hier auf der Insel verbracht. Er hat mir immer von seinem Onkel und dessen Gewürzfarm erzählt, und wie glücklich er hier gewesen ist.“
„Mr Bennett’s Neffe? Sie meinen doch nicht etwa den kleinen Andy, oder?“
Ein trauriges Lächeln umspielte Lenas Lippen. Sie befand sich also tatsächlich am richtigen Ort – nur leider ein paar Tage zu spät. „Doch, genau der. Andy Bennett und ich waren verlobt.“
Aaliyahs erfreuter Gesichtsausdruck verdunkelte sich. „ Waren ? Was ist geschehen? Haben Sie sich getrennt?“
„Nein. Andy ist …“ Tränen stiegen ihr in die Augen, und ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle, der sich auch durch heftiges Schlucken nicht vertreiben ließ. „Es gab einen Autounfall. Das Ganze liegt jetzt fast genau ein Jahr zurück. Andy und ich wurden schwer verletzt. Er fiel ins Koma und …“ Sie schüttelte den Kopf.
Ein paar Minuten lang weinte sie stumm. Ihre Schultern bebten, doch kein Laut verließ ihre Lippen. Dann ebbte die Woge der Trauer langsam ab, und sie wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen. „Tut mir leid, ich wollte nicht …“
„Unsinn, es gibt keinen Grund, sich zu entschuldigen“, widersprach Aaliyah sanft. „Es tut mir leid zu hören, was mit Andy geschehen ist. Ich erinnere mich noch gut an ihn, obwohl ich selbst noch jung war, als er mit seiner Familie hier auf Sansibar lebte. Damals führte meine Mutter noch den Haushalt für die Bennetts. Andy war ein netter Junge. Wirklich eine schlimme Geschichte, das mit dem Unfall. Es tut mir sehr leid für Sie. Aber offen gestanden verstehe ich noch immer nicht, was Sie von Mr Bennett wollten.“
„Er war, so weit ich es nachvollziehen kann, Andys einziger noch lebender
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