Wo die Nelkenbaeume bluehen
aufgegeben und ihre Ersparnisse für eine Überfahrt nach Sansibar eingesetzt. Von hier aus sollte es weitergehen nach Dar-es-Salam und dann tiefer hinein ins wilde Hinterland des schwarzen Kontinents.
Annemarie bewunderte Henriette, die während der gemeinsamen Zeit an Bord des Dampfseglers zu einer Freundin geworden war. Ihr Mut, fern der Heimat, allein und ohne jegliche Unterstützung ein solch gewaltiges Unterfangen anzugehen, imponierte ihr. Sie selbst hatte das elterliche Nest nur äußerst unwillig verlassen. Und das, obwohl die Reiseberichte über Sansibar, das exotische Eiland vor der Küste Tanganjikas, das Paradies verhießen.
Es war indes nicht die Aussicht auf ein Leben in der Fremde, das sie schreckte, und auch die scheußlich steife hamburgische Gesellschaft würde sie nicht vermissen. Nichtsdestotrotz blickte sie ihrer Zukunft auf Sansibar mit gemischten Gefühlen entgegen. Und der Grund hierfür hatte einen Namen: Albrecht Rosenthal.
Keine zwei Monate war es her, da hatte ihr Vater, ein angesehener und wohlhabender Hamburger Kaufmann, ihr eröffnet, dass er sie mit dem Sohn seines Geschäftspartners Laurenz Rosenthal verloben wolle. Dieser Laurenz Rosenthal hatte sich auf den Handel mit exotischen Gewürzen spezialisiert und betrieb seine Geschäfte vom fernen Sansibar aus, während er in Hamburg sowie in Amsterdam und London lediglich kleine Außenposten unterhielt.
Um die Geschäftsbeziehungen zu festigen sollte sie Laurenz Rosenthals Sohn Albrecht heiraten – einen Mann, den sie noch nie gesehen hatte, den sie lediglich von ein paar Fotografien kannte, die einem Brief seines Vaters beigelegen hatten.
Nun war eine solche Art der Eheschließung im Grunde nicht ungewöhnlich. Viele ihrer alten Schulfreundinnen waren derartige, von ihren Familien arrangierte Ehen eingegangen und damit sehr glücklich. Gaben nicht ihre eigenen Eltern das beste Beispiel hierfür ab? Annemaries Mutter Carola – eine geborene von Schöndorff – hatte den wesentlich älteren Heinrich Derksen geheiratet, um ihrer Familie aus einer finanziellen Bredouille zu helfen. Und die beiden wirkten, soweit Annemarie dies beurteilen konnte, sehr glücklich miteinander.
Dennoch – echte Freude wollte bei Annemarie nicht aufkommen. Was, wenn sie Albrecht gegenüberstand und feststellte, dass sie ihn nicht ausstehen konnte?
Dann wirst du die Zähne zusammenbeißen und ihm trotzdem eine gehorsame und treu sorgende Ehefrau sein!
Sie unterdrückte ein Seufzen und zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Und das war nicht einmal schwierig angesichts der unzähligen fremden Eindrücke, die auf sie einstürmten.
Da war zum einen die Luft, so schwülheiß wie in Hamburg nicht einmal an einem besonders strahlenden Hochsommertag. Sie schien in der Mittagssonne zu flirren, und Annemarie, in ihrem schweren Rock und der Bluse mit dem steifen Futter, beneidete die einheimischen Frauen, die weite, an Tuniken erinnernde Kleidung trugen.
Ein intensiver Duft nach Gewürzen lag über allem. Annemarie hatte das Gefühl, ihn nicht nur zu riechen, sondern auch zu schmecken und sogar zu atmen. Es war schier überwältigend.
Und dann all diese Menschen! Die verschiedenen Facetten der Hautfarben reichten von hellem Zimt- über warmes Milchkaffeebraun bis hin zu dunkler Schokolade. Manches Gesicht, das ihr begegnete, war so schwarz wie das Gefieder eines Raben, andere – gerade bei den vielen Menschen arabischer Herkunft – wirkten beinahe europäisch hell. Annemarie konnte sich gar nicht sattsehen.
„Pfui, wie sind die Leute schmutzig hier! Und dieser Gestank!“ Angewidert rümpfte Celia ihr schmales Näschen. Sie war ein feingliedriges, zierliches Persönchen mit schwarzbraunem Haar, wasserblauen Augen und so heller Haut, dass sie fast durchscheinend erschien. Auf den ersten Blick wirkte sie wie ein zartes, hübsches Püppchen. Doch Annemarie wusste inzwischen, dass sie längst nicht so lieb und sanft war, wie sie nach außen hin vorgab. Ganz im Gegenteil. Auf der Reise hatte Annemarie einige äußerst hässliche Eigenschaften an Celia von Thun festgestellt.
Diese war nicht nur sehr in sich selbst verliebt und neigte dazu, auf Menschen, die sie für weniger standesgemäß hielt, herabzublicken. Nein, Celia besaß eine grausame Ader und hielt mit ihrer Meinung auch dann nicht hinter dem Berg, wenn sie drohte, andere damit zu verletzen.
Henriette war zu Anfang der gemeinsamen Überfahrt häufiger zum Ziel ihres Spotts
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