Wo die Nelkenbaeume bluehen
Lächelnd tätschelte er Annemarie den Arm. „Er stellt dir die übrigen Angestellten vor – ich hole derweil Albrecht.“
Annemarie stutzte. Obwohl Wilhelm ihr höflich zunickte, spürte sie doch eine gewisse Spannung zwischen ihnen.
Die übrigen Hausangestellten wirkten sehr freundlich, aber ein wenig schüchtern. Die meisten von ihnen waren Swahili, also jene Nachfahren persischer oder arabischer Händler, die sich seit dem 8. Jahrhundert an der ostafrikanischen Küste niedergelassen und sich mit den einheimischen Ethnien vermischt hatten. Eine junge Frau mit Haut so dunkel wie Ebenholz wurde Annemarie als Zohra, ihr persönliches Mädchen, vorgestellt. Zohra knickste artig und hauchte ein schüchternes „Gnädiges Fräulein“.
Laurenz kehrte aus dem Kontor zurück – er wirkte aufgebracht. „Wo zum Teufel steckt der Junge?“ Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. „Wilhelm?“
„Der junge Herr erwähnte heute Morgen, dass er sich eine Sklavenauktion ansehen wollte. Vielleicht ist er …“
Er verstummte, als das Klappern von Pferdehufen auf dem Kopfsteinpflaster erklang. Im nächsten Augenblick trabte ein prächtiger Rotfuchs durch den Hofeingang, in dessen Sattel ein großer junger Mann mit blondem Haar, rundlichem Gesicht und roten Wangen saß.
„Suchst du nach mir, Vater?“
Annemaries Herz fing an, heftiger zu klopfen. Das war er also: Albrecht Rosenthal, ihr zukünftiger Ehemann.
Mit einem eleganten Satz stieg er vom Pferd und reichte die Zügel einem Kontorangestellten, der gerade in der Nähe stand. Dann ging er auf seinen Vater zu, ohne Annemarie auch nur anzusehen.
Die Blicke, die zwischen Albrecht und Laurenz hin und her gingen, sprachen nicht unbedingt von großer Zuneigung.
„Du weißt genau, was ich über den Sklavenhandel denke, Junge!“ Laurenz‘ Worte klangen scharf wie Peitschenhiebe. „Es ist ein schmutziges Geschäft, und ich erwarte von dir, dass du dich in Zukunft von Subjekten wie diesem Chandler fernhältst.“
Albrecht Rosenthal lächelte kühl. „Reg dich besser nicht so auf, Vater – du weißt doch, dein Herz.“ Seine Worte mochten die eines besorgten Sohnes zu seinem Vater sein. Doch die Art und Weise, wie er sie aussprach, ließen sie eher wie eine Beleidigung klingen.
Das entging auch Laurenz nicht, der erbleichte. Gerade noch rechtzeitig schien er sich Annemaries Anwesenheit wieder bewusst zu werden. Er lächelte gezwungen. „Wir unterhalten uns später weiter darüber“, sagte er zu seinem Sohn. „Jetzt solltest du dich erst einmal um deine Verlobte kümmern.“
Annemarie zuckte kaum merklich zusammen, als Albrecht ihr nun zum ersten Mal Beachtung schenkte. Unter seinem durchdringenden Blick fühlte sie sich wie ein Lamm auf der Schlachtbank. Urplötzlich schien ihr der Gedanke, den Rest ihres Lebens an der Seite dieses Mannes zu verbringen, schier unerträglich. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie blinzelte sie tapfer fort und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen.
Innerlich aber schrie sie.
„Was geht dort hinten vor?“ Henriette stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte über die Köpfe der Menschen hinwegzublicken, die an der Anlegestelle im Hafen von Dar-es-Salam von der Fähre strömten.
„Eine Sklavenkarawane vermutlich“, erwiderte der englische Gentleman, mit dem sie zusammen von Sansibar übergesetzt war. „Sie sollten sich das lieber nicht ansehen, Madam. Ein solcher Anblick ist nichts für empfindsame Gemüter.“
Doch mit seinen warnenden Worten erregte er erst recht Henriettes Neugier. Sie hatte zu Hause schon von den berüchtigten Sklaventrecks gehört, die oft von tief aus dem Landesinneren bis an die Ostküste reichten. Als sich ihr nun die Gelegenheit bot, etwas Derartiges mit eigenen Augen zu sehen, schlug sie die wohlgemeinte Warnung des Engländers in den Wind und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Doch sie wünschte sich bald, sie hätte es nicht getan.
Die Menschen waren mit Halseisen und Ketten aneinandergeschmiedet, ihre ausgemergelten Körper schleppten sich mehr vorwärts, als dass sie gingen. Fliegen umschwirrten die Gesichter mit den glanzlosen Augen, die stumpf ins Leere blickten.
Männer, Frauen, sogar Kinder waren unter jenen armen Seelen, die unbarmherzig von den Sklavenhändlern über das Hafengelände gezerrt wurden. Wie viele Kilometer sie auf ihrer leidvollen Reise bereits zurückgelegt haben mochten, darüber wollte Henriette lieber gar nicht nachdenken.
Ihr schmerzte das Herz vor
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