Wo die Nelkenbaeume bluehen
letzten Stück bis zum Farmhaus fuhren sie an zahlreichen Frauen vorüber, die Körbe mit der Ernte ihrer Männer mit gebeugtem Rücken zu einem Sammelplatz trugen. Dort wurden die Blütenknospen auf Matten ausgebreitet und in der Sonne getrocknet.
Es war ein heißer, schwüler Tag, und der intensiv-aromatische Duft der Gewürznelken, der die Luft erfüllte, war atemberaubend. Süß und schwer hing er über allem. So intensiv, dass Annemarie fast das Gefühl hatte, ihn auf der Zunge schmecken zu können.
Das Farmhaus war sehr viel größer, als Annemarie es erwartet hatte. Die strahlend weiße Fassade wirkte im grellen Sonnenschein beinahe blendend hell. Bodentiefe Fenster beherrschten die Fassade sowohl im Erdgeschoss als auch in der oberen Etage des Gebäudes. Eine breite Treppe führte geradewegs hinauf zur Veranda im Obergeschoss, die von einem guten Dutzend breiter Säulen getragen wurde.
Kunstvolle Schnitzarbeiten zierten die Balustrade der Veranda, auf der in riesigen Kübeln Blumen in den prachtvollsten Farben erblühten. Am oberen Absatz der Treppe erblickte Annemarie ein zierliches, puppenhaftes Persönchen. Die helle Haut mit einem Schirm aus weißer Spitze vor der Sonne geschützt, auf dem Kopf inmitten der dunklen Lockenpracht einen frechen kleinen Hut, winkte Celia ihr zu.
„Annemie, endlich!“, rief sie und schritt huldvoll die Treppe hinunter. „Wie ich mich freue, dich zu sehen!“
Sie schien es tatsächlich ehrlich zu meinen – zumindest glaubte Annemarie ihr das anzusehen. Ihr Lächeln wirkte ungekünstelt, und die hellblauen Augen blitzten.
Khamisi war inzwischen vom Kutschbock gestiegen und half Annemarie dabei, aus dem Wagen zu steigen. Fast augenblicklich fiel Celia ihr um den Hals. Die Umarmung währte jedoch nur kurz. Dann sah ihre ehemalige Reisegefährtin sich suchend um. „Sag, wo hast du denn deinen Gatten gelassen? Jonathan hat sich schon so darauf gefreut, endlich einmal wieder jemanden im Haus zu haben, mit dem er seine scheußlichen Zigarren rauchen und sich über Politik unterhalten kann.“
„Albrecht konnte mich leider nicht begleiten“, erklärte Annemarie. „Geschäftliche Verpflichtungen.“
In Wahrheit hatte es nicht einmal eine Sekunde lang zur Debatte gestanden, dass Albrecht mit ihr zusammen zur Gewürzfarm hinausfahren könnte. Seine geschäftliche Verpflichtung – wenn man es so nennen wollte – bestand an einem Freitagnachmittag grundsätzlich darin, mit einigen seiner gleichermaßen unausstehlichen Freunde bis zum Morgengrauen des nächsten Tages durch die übelsten Spelunken im Hafen von Mji Mkongwe zu ziehen. Annemarie wollte lieber gar nicht wissen, was sie bei ihren Trinkgelagen alles anstellten. Diese Eskapaden waren nur ein weiterer guter Grund für sie, nicht zu bedauern, dass ihr Ehemann sie nur höchst selten nachts in ihrem Schlafzimmer aufsuchte.
Celia wirkte kurz ein wenig enttäuscht, fing sich aber rasch wieder. „Komm!“, sagte sie und nahm Annemaries Hand. „Ich zeige dir alles!“
Die Führung begann im Haus, wo Celia es sich nicht nehmen ließ, Annemarie jeden einzelnen Raum vorzuführen und auf sämtliche kostbaren Einrichtungsgegenstände hinzuweisen. Annemarie wurde es rasch langweilig. Sie interessierte sich nicht besonders für Tischdecken aus Spitze oder Schnitzarbeiten aus Brüssel oder anderen Tand. Doch sie wusste, dass Celia stolz auf all das war, und so ließ sie die Freundin gewähren.
„Hast du eigentlich seit unserem Abschied damals je einen Brief von Henriette bekommen?“, lenkte sie, als Celias Monolog sich draußen fortzusetzen drohte, das Gespräch in eine andere Richtung.
Celia blieb stehen und bedachte Annemarie mit einem seltsamen Blick. „Nein – und um ehrlich zu sein, habe ich auch nicht damit gerechnet. Du etwa?“
„Sie hat versprochen, uns zu schreiben“, beharrte Annemarie. „Interessiert es dich denn gar nicht, wie es ihr ergangen ist? Ob es ihrem Vater besser geht und ob sie ihn überhaupt gefunden hat?“
„Sie hat“, erwiderte Celia lapidar. „Und anscheinend hat sich Pastor Lüderitz inzwischen auch schon wieder von seinem Leiden erholt. Henriette ist jedenfalls nicht mehr bei ihm.“
Das überraschte Annemarie – sowohl die Tatsache, dass Celia so gut über Henriette auf dem Laufenden zu sein schien, wie auch, dass diese ihren Vater bereits wieder verlassen haben sollte.
„Nun lass dir doch nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen!“, drängte Annemarie. „Was weißt du
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