Wo die Nelkenbaeume bluehen
und sagte etwas in einer Sprache, die Henriette nicht verstand. Auf ihrer Reise nach Tabora hatte sie ein paar Brocken Kiswahili aufgeschnappt, doch je weiter sie sich von der Küste entfernten, desto vielfältiger wurde die Bandbreite an Dialekten, die die Eingeborenen sprachen.
„Tut mir leid, ich verstehe dich nicht“, sagte sie und schüttelte zur Unterstreichung ihrer Worte den Kopf.
Der Junge schien zu begreifen, was sie meinte, denn er hörte auf, auf sie einzureden. Stattdessen drängte er sich an ihr vorbei in den hintersten Winkel des Zeltes, wo er sich zitternd zu einer kleinen Kugel zusammenkauerte.
Henriette runzelte die Stirn. Was mochte diesem Kind zugestoßen sein, das es so in Angst und Schrecken versetzt hatte?
Sie erhielt die Antwort, als nur kurze Zeit nach dem Jungen eine lärmende Gruppe Männer ihr Lager aufstörte. Henriette sank der Mut.
Sklavenjäger.
Auf dem Weg von Dar-es-Salam nach Tabora hatte sie viele schlimme Dinge gesehen. Scheinbar endlose Sklaventrecks, die sich vom fernen Nil und den großen Seen im Herzen Afrikas bis hin zur Küste Tanganjikas zogen. Von dort aus wurden die armen Seelen über Sansibar in die ganze Welt verschifft – wie Henriette gehört hatte, unter immensen Verlusten von Menschenleben. Niedergebrannte Häuser, geschändete Frauen und ihren Familien entrissene Kinder. Es war ein entsetzliches Grauen, das sie kaum in Worte zu fassen vermochte.
Die Männer – vornehmlich arabischer, einige aber auch europäischer und sogar schwarzafrikanischer Herkunft – veranstalteten nun ein solches Getöse, dass sowohl Mboko als auch Henriettes Vater aus ihren Zelten gekrochen kamen. Pastor Johannes Lüderitz hatte sich inzwischen gut von seiner schweren Krankheit erholt, obgleich sie ihn noch immer zeichnete. Er stellte sich den Männern in den Weg, als sie gerade anfangen wollten, das Lager zu durchsuchen.
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte er, und seine volltönende Stimme, mit der er sich auch bei seinen Andachten und Predigten Gehör verschaffte, ließ die Männer innehalten. „Was immer Sie auch suchen, hier bei uns werden Sie es gewiss nicht finden.“
Ein hochgewachsener Mann mit arabischen Zügen, von dessen Oberlippe bis zum rechten Auge eine gezackte Narbe verlief, trat vor. Er trug einen Turban, einen Burnus und ein Umhängetuch in dunklen Farben, die im fahlen Mondlicht schwarz erschienen. Offenbar handelte es sich um den Anführer der Truppe. Mboko, der neben Kiswahili und Deutsch auch die Sprache der arabischen Oberschicht beherrschte, übersetzte für sie. „Sie reisen allein mit der Frau und dem Neger?“
Johannes Lüderitz nickte. „Meine Tochter Henriette“, stellte er vor. „Mboko, unser Führer.“
„Von unserem Treck ist ein Negerbengel ausgebüxt“, erklärte der Sklavenjäger. Unverhohlen blickte er sich um. „Haben Sie ihn gesehen?“
Henriette klopfte das Herz bis zum Hals. Sie zweifelte nicht daran, dass es sich bei dem Jungen, der sich in ihrem Zelt versteckte, um den Gesuchten handelte. Und sie wollte sich lieber nicht vorstellen, was ihm blühte, wenn diese Männer ihn einfingen. Sie hatte schon Kinder gesehen, die zur Strafe für weit geringere Vergehen an Balken gekettet worden waren, die sie fortan mit sich herumtragen mussten.
„Niemand von uns hat etwas gesehen“, entgegnete Lüderitz, und Henriette war froh, dass er für sie alle antwortete, denn sie war nicht sicher, ob sie auch nur einen einzigen Laut hervorgebracht hätte. „Aber wenn wir doch noch etwas bemerken sollten, werde ich Mboko schicken, um Sie zu informieren.“
Der Mann nickte, nachdem Mboko die Worte von Henriettes Vater für ihn übersetzt hatte. Mit einem gebellten Befehl trommelte er seine Leute zusammen. Kurz darauf verschwanden sie ebenso lärmend, wie sie aufgetaucht waren.
„Das würdest du doch nicht wirklich tun, oder Papa?“ Henriette hauchte die Worte mehr, als dass sie sie sprach.
Fragend schaute Johannes Lüderitz seine Tochter an. „Was tun, Liebes?“
„Diese schrecklichen Männer auf einen wehrlosen Jungen hetzen!“
Der Pastor fuhr sich seufzend mit der Hand über die hohe Stirn. „Ach Kind, von diesen Dingen verstehst du nichts“, erwiderte er, ohne ihre Frage wirklich zu beantworten. „Ich bin nach Afrika gekommen, um die Kinder Gottes, die ihren heidnischen Religionen frönen, in den Schoß der heiligen Mutter Kirche zu führen.“
Henriette erschauderte innerlich. „Aber Gott kann doch nicht wollen, dass ein
Weitere Kostenlose Bücher