Wo die Nelkenbaeume bluehen
sie die ganze Sache abgebrochen hatte, ehe sie vollständig aus dem Ruder gelaufen war. Tatsache aber war, dass ein Teil von ihm es bedauerte und sich danach sehnte, Lena in seinen Armen zu halten.
„Stephen? Was ist? Warum sagst du nichts?“
Roz‘ Stimme holte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Ärgerlich über sich selbst runzelte er die Stirn. Das musste aufhören! Es gab andere Dinge, auf die er sich konzentrieren sollte. Wichtige Dinge. Und was Lena betraf, so durfte er sich in nichts hineinsteigern. Sie war attraktiv, ja, und er fühlte sich stark zu ihr hingezogen. Aber er hatte es – verdammt noch mal! – in seinem Leben schon oft mit bildschönen Frauen zu tun gehabt, die versucht hatten, ihm aus dem einen oder anderen Grund den Kopf zu verdrehen. Bisher war es ihm jedoch immer gelungen, Geschäftliches und Privates streng voneinander zu trennen.
Und als neue Besitzerin der Bennett-Farm gehörte Lena ganz eindeutig in die Kategorie „Geschäftliches“.
„Entschuldige, ich habe nur gerade überlegt, ob ich es noch irgendwie hinkriegen kann, auf dem Rückweg kurz bei dir ranzufahren“, schwindelte er. „Aber ich komme hier voraussichtlich erst nach Mitternacht weg, und dann noch die Rückfahrt … Was hältst du davon, wenn ich mich morgen noch einmal bei dir melde, und wir verabrede einfach ein neues Treffen?“
„Nein, nein“, erwiderte Roz rasch. „Es ist okay, wenn es spät wird. Ich würde mich einfach freuen, wenn du auf dem Rückweg von Kitale noch einmal auf einen Sprung bei mir vorbeischaust.“
Stephen war überrascht und fragte sich, was Roz wohl so Dringendes mit ihm zu besprechen hatte. Aber ganz gleich, was es auch war – heute Nacht konnte er sich unmöglich damit befassen. Dazu war er einfach noch viel zu aufgewühlt.
„Ich werde schauen, was ich tun kann“, sagte er. „Aber es könnte sogar sein, dass ich eine Nacht hier im Hotel verbringe. Du solltest also besser nicht auf mich warten.“
Er fühlte sich schlecht, als er das Gespräch kurz darauf beendete. Roz hatte etwas Besseres verdient als das. Dennoch durfte er noch nicht reinen Tisch machen. Nicht, solange ihr Vater bezüglich der Finanzierung des gemeinsamen Projekts abspringen konnte. Er hatte Rachel versprochen, dass er dieses Hotel, von dem sie schon als Kinder geträumt hatten, für sie bauen würde.
Lieber wollte er sterben, als dieses Versprechen jemals zu brechen.
Er trat auf den Balkon seines Arbeitszimmers und sah, dass unten in Rachels Zimmer, das sich im Seitenflügel des Hauses befand, noch Licht brannte. Spontan entschied er sich, seiner Schwester trotz der späten Stunde noch einen kurzen Besuch abzustatten.
Ngabile blickte überrascht von ihrem Buch auf, als er kurz darauf in der offenen Tür stand und an den Rahmen klopfte. Ein warmes Lächeln erhellt ihr eher herbes Gesicht. Das Haar trug sie, wie meistens, unter einem Kopftuch verborgen. „Das ist aber schön, dass Sie uns besuchen kommen“, sagte sie, legte ihr Buch beiseite und erhob sich aus dem Schaukelstuhl. „Rachel wird sich freuen, Sie zu sehen.“
Wie gern wollte Stephen daran glauben, dass sie recht hatte. Doch das letzte Mal, dass er so etwas wie Freude in Rachels Gesicht gesehen hatte, lag schon so lange zurück, dass es ihm manchmal wie ein schöner Traum erschien. Nun waren es fast zwanzig Jahre …
„Kommen Sie“, sagte Ngabile und führte ihn in Rachels Zimmer, wo sie in ihrem Rollstuhl vor der offenen Verandatür saß, sodass sie auf den Ozean hinausblicken konnte. Früher einmal hatte sie es geliebt, das Meer bei Nacht. Wie oft waren sie nach Einbruch der Dunkelheit heimlich aus ihren Betten geklettert, hatten sich auf Zehenspitzen am Schlafzimmer ihrer Eltern vorbeigeschlichen und waren zum Strand hinuntergelaufen.
Mit niemandem hatte er besser reden können als mit Rachel. Sie war für ihn nicht nur seine Schwester gewesen, sondern auch seine beste Freundin, seine engste Vertraute. Ihr hatte er Dinge anvertraut, die er nicht einmal mit Yasin teilen konnte. Doch diese Person, die er mehr geliebt hatte als jeden anderen Menschen auf der Welt, existierte nicht mehr.
Die Frau, die vor ihm in dem Rollstuhl saß und blicklos ins Leere starrte, war nicht mehr die Rachel, die er kannte. Und er trug die Verantwortung dafür, dass es so gekommen war.
Er allein.
„Ich lasse Sie beide allein“, erklärte Ngabile. „Wenn Sie irgendetwas brauchen …“
Stephen nickte. Ngabile kümmerte sich nun seit gut fünfzehn
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