Wo die Nelkenbaeume bluehen
der auf ihre Lagerstatt zukam. Kurz darauf hörte sie die bekannte Stimme von Moses, einem ihrer heimlichen Mitstreiter, der auf dem Hof arbeitete, zu dem die Scheune gehörte. Doch ihre Erleichterung währte nicht lange, als sie hörte, was er zu sagen hatte. „Du musst hier weg!“, flüsterte er aufgeregt. „Irgendjemand muss ihnen einen Tipp gegeben haben.“
Darüber, wen Moses meinte, wenn er von „ihnen“ sprach, brauchte Henriette nicht lange nachzudenken. Hastig rappelte sie sich auf und sammelte ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Da hörte sie auch schon, wie schwere Schritte sich von draußen näherten.
„Schnell!“, drängte Moses, doch das war kaum nötig, denn Henriette war sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst.
Und sie wollte lieber sterben, als diesen Menschen in die Hände zu fallen!
Mji Mkongwe, Sansibar, November 1887
„Keine Angst, Nahiba.“ Tröstend legte Annemarie dem leise schluchzenden Hausmädchen eine Hand auf den Arm. „Es ist gut, dass du dich mir anvertraut hast. Ich werde dafür sorgen, dass er dich in Zukunft in Ruhe lässt.“
Sie betrachtete die zarte, zusammengesunkene Gestalt auf dem Stuhl vor sich eingehend. Welcher Teufel mochte Albert geritten haben, dieses arme unschuldige Kind zu bedrängen? Wie alt mochte Nahiba sein? Zwölf? Dreizehn?
Es war Annemaries Zofe Zorah gewesen, die das Mädchen gedrängt hatte, sich an sie zu wenden. Natürlich wusste Annemarie, dass ihr Mann sämtliche Bediensteten drangsalierte und terrorisierte – abgesehen von Wilhelm, der eine ähnlich sadistische Ader besaß wie er selbst. Es war kaum möglich, davor die Augen zu verschließen. Das letzte Mal hatte er beim Dinner ein Mädchen vor den Augen von Gästen geohrfeigt, weil diesem beim Auftragen ein winziger Fehler unterlaufen war.
Annemarie machte sich schon längst nichts mehr vor: Seit nunmehr sechs Monaten waren Albrecht und sie verheiratet, und mit jedem Tag, der verstrich, wuchs ihr Abscheu für ihn. Er war ein Sadist, der ganz offensichtlich Befriedigung empfand, wenn er Menschen, die sich nicht wehren konnten, quälte. Und seit Laurenz‘ Tod gab es niemanden mehr, der ihn von seinen Exzessen abzuhalten vermochte.
Natürlich tat Annemarie alles, was in ihrer Macht stand, um die Bediensteten zu beschützten. Doch de facto hatte in diesem Haus ausschließlich Albrecht das Sagen, sodass ihr in der Regel lediglich der Versuch blieb, besänftigend auf ihn einzuwirken – was leider nur in den seltensten Fällen gelang. Wie auch? Albrecht machte keinen Hehl daraus, dass er sie nicht mochte und sie nur geheiratet hatte, weil sein Vater es so von ihm verlangt hatte. Da dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte, bekümmerte es Annemarie herzlich wenig, dass ihr Gemahl in den Bordellen rund um Mji Mkongwe ein gern gesehener Stammgast war. Seine anfänglichen abendlichen Besuche in ihrem Schlafzimmer, die ausschließlich der Zeugung eines Erben diente, hatte er zu ihrer Erleichterung schon wenige Wochen nach der Hochzeit eingestellt.
Ihre Ehe war eine einzige Farce. Schlimmer noch – inzwischen fürchtete Annemarie sich regelrecht vor Albrecht, der gleich nach der Beerdigung seines Vaters sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Er war ein jähzorniger, herrschsüchtiger Mann, der es nicht ertragen konnte, wenn sich ihm jemand entgegenstellte. Diese Erfahrung hatte sie nun schon mehrfach machen müssen.
Doch das hielt sie nicht davon ab, für ihre Grundsätze einzustehen, wenn sie es für notwendig erachtete. Albrecht mochte sie einschüchtern, doch brechen konnte er sie nicht.
Versonnen betrachtete sie ihr Gesicht im Frisierspiegel, vor dem sie saß. War dies noch dieselbe Annemarie, die gemeinsam mit Celia und Henriette auf der Fortuna nach Sansibar gereist war? Damals war sie voller Hoffnungen und Träume gewesen. Was war aus ihnen geworden? Doch nur Schall und Rauch …
„Was wollen Sie tun, gnädige Frau?“, fragte Zorah, nachdem sie Nahiba aus dem Raum geführt hatte. „Ich mache mir Sorgen um Sie. Dem gnädigen Herrn wird es nicht gefallen, wenn Sie sich für das Mädchen einsetzen.“
Annemarie nickte. Besser hätte sie es auch nicht ausdrücken können. „Ich weiß“, sagte sie mit einem unglücklichen Lächeln. „Aber ich wäre nicht ich selbst, wenn ich diese Ungerechtigkeit einfach so geschehen ließe.“
Auch Zorah lächelte nun. „Es ist sicher sehr selbstsüchtig, so zu denken, denn immerhin weiß ich, wie unglücklich Sie sind, gnädige Frau –
Weitere Kostenlose Bücher