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Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Wo die toten Kinder leben (German Edition)

Titel: Wo die toten Kinder leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roxann Hill
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fahren, in der der Kaplan gearbeitet hat.“
    „Zu welchem Zweck? Damit der Pfarrer uns bestätigt, dass er den Kaplan gewarnt hat? Glaubst du, das bringt etwas?“
    Ich richtete mich auf und sah in Pauls zweifelndes Gesicht.
    „Lass uns böse Ermittlerin und böser Priester spielen. Mal sehen, was Pfarrer Winkelmann dann ausspuckt.“
    Die Skepsis wich allmählich aus Pauls Miene und machte einem verschlagenen Grinsen Platz.

26
     
    B ei Tageslicht wirkte das Pfarrhaus noch größer und wuchtiger. Kurz nachdem Paul die Klingel betätigt hatte, wurde die Tür aufgerissen und Pfarrer Winkelmann stand vor uns. Diesmal trug er einen makellosen schwarzen Anzug, darunter ein schneeweißes, offensichtlich neues Hemd und sein graues Haar war sorgfältig gekämmt.
    „Was wollen Sie schon wieder?“, schnauzte er uns an.
    Paul antwortete nicht. Ich trat nach vorne, ergriff den Arm des Pfarrers und schob ihn rückwärts. Ohne weiteren Kommentar traten Paul und ich ein.
    Das Wohnzimmer schien frisch aufgeräumt. Alles sah sauber und ordentlich aus.
    „Sie kommen zu spät“, sagte der Pfarrer.
    Paul blieb einen Augenblick stehen. „Wie meinen Sie das?“
    „Die Kriminalbeamten, die Sie auf mich gehetzt haben, waren bereits da. Und sie haben nicht aufgehört, mir Fragen zu stellen. Mir! – als hätte ich etwas damit zu tun!“ Er schnaubte empört, ging vor uns im Raum auf und ab, wie ein gefangenes Tier. „Sie haben mir Fragen gestellt!“, wiederholte er. „Immer wieder! Nach meinem Kaplan! Als wüsste ich, was er in jeder freien Sekunde machen würde! Als wäre ich für ihn verantwortlich! Sie haben mich dargestellt…“ – er verharrte, suchte krampfhaft nach Worten, „Sie haben mich behandelt, wie einen Verbrecher. Ich konnte heute nicht einmal meine Gottesdienste halten! Ein Kollege musste für mich einspringen!“ Er wartete, welche Wirkung seine anklagenden Worte auf uns hatten.
    Paul blieb eine Weile stumm. Dann sagte er: „Sie sind kein Verbrecher. Sie sind nichts anderes als ein mieses Schwein.“
    Jede Farbe, die noch im Gesicht des Pfarrers war, wich daraus. Seine Haut wurde schlagartig grau und durchsichtig.
    Paul ging zu einem der Stühle am Esstisch, zog ihn heraus und ließ sich schwerfällig darauf nieder. Ich lehnte mich an die Wand und schob meine Jacke vorsorglich zur Seite, so dass ich bei Bedarf schnell an meine Waffe kommen würde.
    „Was haben Sie gesagt?“, fragte der Pfarrer Paul.
    „Sie haben mich schon gehört. Sie sind schlimmer als ein Verbrecher. Entweder waren Sie an diesen Gräueltaten irgendwie beteiligt, oder – was genauso schlimm ist – Sie haben es gewusst und ignoriert.“
    „Das ist eine Lüge!“, schrie der Pfarrer. Seine Stimme schallte durch das Zimmer. Er hatte beide Fäuste geballt, sie hoch an seine Brust gepresst. „Das ist eine Unverschämtheit! Ich werde mich beim Bischoff über Sie beschweren!“
    Paul blieb ruhig. „Viel Spaß. Sie glauben doch nicht, dass Sie dort noch Unterstützung finden werden, nach dem was Sie hier angestellt haben.“
    „Was habe ich getan? Ich führe seit über zwanzig Jahren meine Gemeinde vorbildlich. Ich erfülle alle meine Pflichten!“
    „Ja, all Ihre Pflichten“, Pauls Stimme hatte jede Spur von Gefühl verloren. „Und dann landen bei uns solche Fotos auf dem Tisch! Glauben Sie, dass das Zugrunderichten dieser Kinderseelen auch zu Ihrem Aufgabenbereich gehört?“
    Als die letzten Worte von Paul durch den Raum klangen, veränderte sich die Haltung des Pfarrers schlagartig. Er ließ seine Arme sinken, seine Hände öffneten sich und hingen schlaff an seinen Seiten herab. Es schien, als habe ihn mit einem Mal jegliche Kraft verlassen.
    „Wenn Sie sich alles genau überlegen, wenn Sie tief in sich hineinschauen, dann ist Ihnen klar, dass Sie gewusst haben, was Ihr Kaplan so treibt. Sie waren sehr wohl im Bilde. Sie haben die Kinder gesehen, die bei ihm in seinem sogenannten Sportverein waren. Sie haben sie gesehen, bevor und nachdem er sich mit ihnen beschäftigt hatte. Sie haben gemerkt, dass die Kinder verängstigt waren, dass die Kinder sich nicht so verhielten, wie sie es normalerweise tun. Geben Sie es zu!“
    Pfarrer Winkelmann langte sich mit beiden Händen an den Kopf und drückte die Handflächen auf seine Augen. Dann bebte sein gesamter Körper. Er schwankte. Ich hatte Bedenken, dass er stürzen würde. Er nahm die Hände vom Gesicht und wandte sich mit einer Geste der Hoffnungslosigkeit an Paul. „Was hätte

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