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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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Blackrock gehörte.«
    »Und wer war dieser Henry Dawson?«
    »Ein Zocker, der nichts mehr zu verlieren hatte. Er hatte alles verspielt. Ein Mann, der auch mit dem Teufel noch eine letzte Wette eingegangen wäre, wie man so schön sagt.« Shane bückte sich nach einem Stein und schleuderte ihn ins Unterholz. »Er war der letzte Spross der Familie, die Castledawson House erbaut hatte. Er trat sein Erbe viel zu jung an und brachte es viel zu früh durch. Am Ende war er nur noch ein Wrack, zu viel Alkohol, zu viele Weiber, zu viel Opium und nichts mehr als ein von Krankheit ausgemergelter Körper und ein Haus, auf dem nur Schulden lasteten.«
    Nie zuvor hatte ich Shane so reden hören. »Wann ist das alles passiert?«, fragte ich.
    Shane warf einen Blick auf die Ruinen. »Schon vor mehreren Generationen.«
    »Woher weißt du das dann alles?«
    »Ein alter Arzt hat es mir erzählt. Er warnte mich, dass ich mir niemals meine Seele stehlen lassen solle.«
    Das hörte sich für mich ziemlich merkwürdig an. »Wie soll dir jemand die Seele stehlen können?«
    »Das habe ich Dr. Thompson auch gefragt.« Shane stand auf. »Lass uns zum Bus zurückgehen. Hier krieg ich Gänsehaut, ein Ort wie der hier ruft in mir einfach zu viele schlechte Erinnerungen hervor. Ich ertrag es nicht, in der Nähe von einem Haus zu sein, das abgebrannt ist.«
    Der Rest der Klasse trudelte irgendwann auch ein, bald lag der Wald rings um den Hellfire Club hinter uns und dann kehrte auch Shanes normale gute Laune zurück. Er unterhielt uns alle im Bus mit seinen Späßen, zog die Mädchen auf, ahmte Lehrer nach und traf mit seinen Sticheleien immer den Kern der Sache. Cool, locker und mit messerscharfem Verstand. Ununterbrochen ließ er sich auf die verrücktesten und waghalsigsten Wetten ein, von der Anzahl der Schafe auf dem nächsten Feld bis zur Farbe des nächsten Autos, das uns entgegenkommen würde.
    Nach unserer Ankunft im Landschulheim hatten wir in Gruppen aufgeteilt für den Rest des Tages volles Programm. Erst musste jede Gruppe ein improvisiertes Theaterstück zum Thema Immigration aufführen, dann sollten wir uns einen Partner suchen und uns abwechselnd mit verbundenen Augen durch die Gegend führen lassen. Zweck des Ganzen war, dem anderen zu vertrauen zu lernen. Manche Übungen waren eher lächerlich, aber meine Klasse machte bei allem bereitwillig mit und die Stimmung kippte nie um. Es gab auch keinen, der darüber hochmütig die Nase rümpfte. Keine Ahnung, wie das mit meiner früheren Klasse gelaufen wäre, aber wahrscheinlich wären sie entweder vor lauter Verlegenheit gestorben oder sie hätten das Gebäude demoliert.
    Nach dem Abendessen gab es kein Programm mehr und wir hatten die Zeit »zu unserer freien Verfügung«. Shane hatte nicht lockergelassen, bis ich ihm versprochen hatte, meine Gitarre mitzunehmen. Zwei andere aus der Klasse hatten ihre Gitarrenebenfalls dabei und bald saßen wir alle zusammen und sangen alle möglichen Lieder. Ich war es nicht gewohnt, vor anderen Leuten zu spielen, aber es war okay, weil es sich um lauter bekannte Songs handelte, meistens Hits aus den Charts, bei denen alle mitsingen konnten. Es war kurz vor Mitternacht, als Shane plötzlich die Hand hob und um Schweigen bat.
    »Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, hochverehrte Fräuleins und Jünglinge, wir haben hier in unserer Mitte einen großartigen Singer-Songwriter und Dichter. Prägt euch gut ein, was er euch jetzt vorspielen wird, denn eines Tages werdet ihr stolz erzählen können, dass ihr die ersten gewesen seid, die seine Songs hören durften, und später werdet ihr viel Geld dafür hinlegen müssen, um diesen Kerl spielen zu hören. Und jetzt bitte ich um Applaus für Joey Kilmichael.«
    Ich starrte Shane schockiert an. Wie konnte er mich so verraten? Er wusste genau, dass ich keines meiner Lieder vortragen wollte. Niemand sollte erfahren, dass ich überhaupt Songs schrieb. Nach allem, was in meiner alten Klasse passiert war, war es das Allerletzte, was ich brauchen konnte, mich noch einmal vor allen so lächerlich zu machen. Aber die Gesichter, die sich mir nun zugewandt hatten, wirkten nicht, als wollten sie mich gleich verspotten. Alle Augen schienen das Interesse in Shanes Augen zu spiegeln. Sie wirkten, als wollten sie meine Songs wirklich hören. Shane gab mir ein Zeichen, mit dem er mir zu sagen schien: Los, mach! Steh auf und zeig, was du kannst!
    Das gab mir Kraft. Ich schloss die Augen und spielte die ersten Akkorde.

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