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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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in einfachen Worten erklären konnte.Erst als wir fertig waren und ich von meinem Schulbuch aufblickte, sickerte die Atmosphäre des Zimmers erneut in mich ein. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Teenager wohnte. Die Wände waren kahl. Es erinnerte alles an eine Klosterzelle. Die Möbel waren eigentlich gar nicht schlecht, aber ich hätte es nie in einem solchen Zimmer ausgehalten, wie in einer Gefängniszelle. Shane schien zu spüren, wie unwohl ich mich fühlte.
    »Ist doch ganz gemütlich«, sagte er mit einer Stimme, bei der mir nicht ganz klar war, ob er mich oder sich selbst davon zu überzeugen versuchte. »Mir gefällt’s hier.«
    »Aber was machst du denn abends?«, fragte ich. »Du hast ja noch nicht mal einen Fernseher.«
    »Mrs Higgins hat angeboten, mir einen reinzustellen, aber das wollte ich nicht. Mir reichen das Internet und die Geschichtsbücher. Das Haus geht hinten auf den Tennisclub raus. Manchmal sitze ich im Dunkeln im Garten, wenn dort keiner mehr spielt und alles ringsum still ist. Niemand stört mich dann in meinen Gedanken.«
    »Klingt etwas unheimlich.«
    Shane grinste. »Nur die Ruhe vor dem Sturm, bevor ich mich in die Stadt aufmache, und dann geht’s erst so richtig los. Ich hab was von einem Spieler in mir, ich kann einfach nicht aufhören. Wahrscheinlich verwette ich noch mal mein letztes Hemd.« Er stand auf. »Nimm deine Jacke, wir ziehen los.«
    »Ich muss nach Hause«, sagte ich. »Meine Mutter wartet bestimmt schon. Und außerdem ist meine Schultasche tonnenschwer.«
    »Du kannst deine Tasche hierlassen«, drängte Shane. »Ich bring sie dir morgen mit. Wir haben hart gearbeitet, du verdienst eine Belohnung.« Er bemerkte mein Zögern. »Nun zieh den Schwanz nicht so ein. Deine Mutter war auch mal jung.Glaubst du, sie ist jeden Abend um acht brav nach Hause gerannt, als sie so alt war wie du? Ich wette, sie hat sich auch vergnügt, und das könnte sie immer noch, denn wahrscheinlich ist sie eine gut aussehende Frau. Keiner zwingt sie, jeden Abend wie eine alte Jungfer zu Hause zu sitzen und dir ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn du mal nicht da bist, um ihr Gesellschaft zu leisten.«
    »Lass meine Mum da raus«, sagte ich.
    Er lachte. »Ich mein ja nur, sie sollte ab und zu auch mal raus, wenn ihr danach ist.«
    »Halt die Klappe!«, sagte ich. »Meine Mutter geht dich nichts an.«
    »Ich sag ja nur, dass sie vielleicht mal ihren Horizont erweitern sollte, wie du auch. Wenn du findest, dass dieses Zimmer etwas klein ist, dann wird es höchste Zeit für dich, mal mitzukriegen, was andere Leute so für ein Leben führen.« Er griff nach seiner Lederjacke, stand in der geöffneten Tür und wartete mit einem amüsierten Lächeln auf mich. »Also, entscheide dich – willst du mal ein bisschen von der Hölle kosten oder hast du vor, dein ganzes Leben lang verängstigt zu Mutti nach Hause zu rennen?«

D REIZEHNTES K APITEL
    S hane
    A UGUST 2007
    N och am selben Abend trafen sich Geraldine und Shane an jener Stelle der Rock Road, von der die schmale Einbahnstraße der Castledawson Avenue abzweigt; unbemerkt von den Tausenden von Autofahrern, die auf der breiten Straße vorbeirauschen. Der Verkehrslärm verebbte allmählich, als sie die Castledawson Avenue entlanggingen, die inzwischen kaum mehr war als ein breiter geteerter Weg, obwohl dort einst auf der rechten Seite eine Reihe von Häusern gestanden hatte. Diese hatten irgendwann dem Sportplatz des Blackrock College weichen müssen, der jetzt verlassen in der Abenddämmerung dalag. Auch auf der linken Seite waren nur noch zwei Gebäude stehen geblieben, alte Häuser, in denen man schicke Büros eingerichtet hatte. Beide wurden fast erdrückt von dem modernen Gebäudekomplex der Blackrock-Klinik dahinter. Der Asphalt wurde schlechter, und als sie die verlassene Molkerei erreichten, war von der Straße nicht mehr viel übrig.
    Shane und Geraldine musterten den halb verfallenen Dachstuhl des Hauses: Unmöglich, darin konnte niemand mehr wohnen! An der Haustür gab es einen Türklopfer, aber sie hatten nicht vor, damit anzuklopfen. Detektive arbeiten heimlich. Allerdings waren sie gar nicht wirklich hergekommen, umDetektive zu spielen. Shane sah diesen abendlichen Ausflug eher als Chance an, im Dunkeln mit Geraldine allein zu sein. Wenn sie Angst bekäme, würde er einfach seinen Arm um sie legen. Und wenn er mutig genug war, in dieses gespenstische leere Haus einzubrechen, dann war er vielleicht auch mutig genug, endlich

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