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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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Shane. »Du hast mir doch erzählt, dass du da, wo du trinkst, nie gestört wirst.«
    »Hab mich halt getäuscht, ja? Weil ich da heute Nachmittag nämlich gestört worden bin. Und ich weiß noch nicht mal, ob von Lebenden oder von Toten.«
    »Was?«
    »Am Ende der Castledawson Avenue gibt es so ein altes Haus.«
    »Ja, kenn ich.«
    Simon musterte Shane streng. »Was heißt das, kennst du?Du gehörst doch gar nicht zu uns hier in Blackrock. Kommt so ein Vollassi aus Sallynoggin und will gleich Bescheid wissen.«
    Shane machte einen Schritt auf ihn zu, aber Geraldine trat dazwischen.
    »Ja, ja, versteck dich nur hinter deiner Freundin«, spottete Simon. Aber Shane bemerkte, dass der ältere Junge zurückgewichen war. Er war nicht nur betrunken, sondern wirkte richtig verstört. Außerdem schien es ihm nicht zu gefallen, dass Shane endlich jemanden gefunden hatte – und dann gleich auch noch eine Freundin.
    »Ich kenne das alte Haus auch«, sagte Geraldine. »Meine Oma sagt, dass dort zwei alte Brüder gelebt haben. Das Haus um sie herum ist allmählich verfallen. Sie sind dann beide verrückt geworden und irgendwann hat man sie tot aufgefunden.«
    »Da drin würde jeder verrückt werden«, sagte Simon. »Ich hab einmal den Fuß in die Küche gesetzt und bin dann sofort wieder rausgerannt, als ich gespürt habe, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Aber nicht mal mehr in den Garten würde ich mich jetzt trauen.«
    »Warum?«
    »Wenn du dort hinter dem Haus über die Mauer springst, bist du wie in einer anderen Welt. Ich bin da immer gern hin, um in Ruhe etwas Gras zu rauchen. Aber vorhin … Also, da brannte im Erdgeschossfenster auf einmal eine Kerze. Könnt ihr euch vorstellen, wie ich da erschrocken bin? Es ist dort immer ganz finster wegen der vielen Büsche ums Haus. Und dann hat mir dort ein gespenstischer Alter entgegengestarrt, mit einem hageren Gesicht, als wäre er mindestens hundert Jahre alt. Ich hab mich nicht lang aufgehalten, um rauszufinden, ob das wirklich ein Geist war oder was. Ich bin nach dem Anblick sofort über die Mauer zurückgesprungen, wo eine streunende Katze, die dortsaß, mir die Arme zerkratzt hat.« Er zeigte ihnen zwei lange Kratzer an seinem Unterarm. »Ich zitter jetzt noch davon, Mann.«
    »Wahrscheinlich hast du nur zu viel getrunken«, sagte Shane.
    Simons Augen funkelten. »Wenn du mich einen Lügner nennen willst, dann steig doch mal am Abend dort ein und finde selbst heraus, wer er ist. Und jetzt lass mich in Ruhe, bevor ich dir einen Kinnhaken verpasse, der dich zurück bis nach Sallynoggin befördert.« Und damit führte Simon den Flachmann an die Lippen.
    Shane und Geraldine zwängten sich schnell an ihm vorbei in Richtung Bahnhof und verlangsamten ihre Schritte erst, als sie Idrone Terrace erreichten. Sie waren sich einig, dass Simon ihnen Lügengeschichten erzählte, um ihnen Angst einzujagen. Das Haus war viel zu verfallen, als dass darin jemand wohnen konnte.
    »Sogar wenn ich bloß davorstehe, bekomme ich schon Gänsehaut«, gestand Shane. »Ich würde keinen Fuß da reinsetzen wollen.«
    Geraldine blickte ihn an. »Und wer ist jetzt der Feigling?«
    »Das ist was anderes.«
    »Der einzige Unterschied ist, dass ich in einem Schwimmbecken tatsächlich ertrinken könnte. Was kann dir in einem alten Haus denn schon geschehen? Warum soll es bei dir in Ordnung sein, wenn du dich vor etwas fürchtest, aber bei mir nicht?«
    Geraldine sagte das in einem neckenden Tonfall, aber Shane spürte, dass es auch eine Art von Test war. »Ich geh rein«, sagte er, »wenn du mit mir reingehst.«
    Geraldine blickte einen Moment weg, dann sah sie ihn wieder an und nickte.
    »Okay«, sagte sie leise. »Wir können uns nicht immer vor allem Möglichen fürchten, schließlich sind wir keine Kinder mehr.«
    Es fühlte sich für Shane so an, als wäre die Geschichte von Simon Wallace eine Art Mutprobe für sie beide, fast eine Prüfung, wie erwachsen sie schon wären. Selbstverständlich würden sie in dem Haus nichts finden. Aber der Sommer war inzwischen beinahe vorbei und hier bot sich endlich die Gelegenheit, ein richtiges Geheimnis zu erkunden.

Z WÖLFTES K APITEL
    J OEY
    N OVEMBER 2009
    A n meiner neuen Schule, dem Stradbrook College, drohte der erste große Schwung Prüfungen und machte mich etwas nervös. Ich war immer nur ein durchschnittlicher Schüler gewesen, aber für meine Mum wollte ich diesmal gute Noten schaffen. Ich wollte ihr beweisen, dass ihre ganze Bemühungen,

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