Wo die verlorenen Seelen wohnen
Zulus zu machen.
Sein Plan hängt allerdings davon ab, ob seine Mutter ihm erlaubt, sich den ganzen Tag in sein Zimmer zurückzuziehen, um dort theologische Bücher zu studieren. Nur dann wird er sich heimlich aus dem Haus schleichen können. Seine beiden Brüder müssen zwar von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Molkerei schuften, aber Thomas stellt sie meistens vondieser schweren Arbeit frei. Weil er ja Priester werden soll, leiht sie für ihn regelmäßig Bücher aus der Klosterbibliothek der Heilig-Geist-Brüder im Blackrock College aus. Die soll er dann stundenlang lesen und Thomas bemüht sich ja auch, aber wie soll man sich die ganze Zeit auf Gott konzentrieren können, wenn es da mit Molly und Jack die Küste von Booterstown zu erforschen gibt, falls die beiden sich mal davonstehlen können, oder wenn er zum Pier von Dún Laoghaire gehen kann, wo die Fähren abfahren, und er sich dann ausmalt, welche Reisen die Fahrgäste wohl unternehmen.
In der Küche stellt ihm Molly sein Frühstück hin und bittet ihn, ihr später doch dabei zu helfen, die leeren Milchflaschen auszuspülen.
»Wenn ich das immer auch noch tun soll, bin ich bereits ganz erschöpft von der vielen anderen Arbeit«, sagt sie, »und ich brauch’s dir nicht groß zu sagen, denn du kennst ja deine Mutter, aber sie macht darum so viel Wind, als würde es sich um wer weiß was für wertvolle Antiquitäten handeln.«
»Wenn meine Mutter aus dem Haus gegangen ist, können wir uns ans Treppengeländer stellen und um die Wette werfen, wer die Haustür zuerst mit einer Milchflasche trifft.« Thomas grinst.
Molly lacht. »Probier das bitte erst dann aus, wenn ich auf einem Schiff nach England bin. Und selbst dann würde ich mich noch nicht sicher fühlen, weil sie zur Strafe eine große Woge ausschicken könnte, um das Schiff zum Kentern zu bringen.«
Thomas bringt Molly gern zum Lachen, aber er weiß, dass sie in Jack O’Driscoll verliebt ist. Er hat es daran erkannt, wie sie mit Jack vor ein paar Tagen zur Jazzplatte getanzt hat. Er grübelt, wie er Molly wohl noch zum Lachen bringen kann, aber da ist sie schon aus der Küche, um anderswo im Haus ihre Arbeit zu verrichten. Schnell schlingt er sein Frühstück hinunter und geht dann nach draußen in den Hof, um nach seiner Mutter zu suchen. Leute laufen herum. Der Wind weht Stroh und Staub auf. Es riecht nach Kuhdung. Thomas scheucht eine streunende schwarze Katze weg, die zwischen den Karren umherschleicht. Er bleibt einen Augenblick stehen, um den alten Esel zu streicheln, der vor den Milchkarren der Nonnen gespannt ist. Es wundert ihn, dass der alte Joseph nicht schon längst mit den gefüllten Kannen zurück ins Kloster unterwegs ist. Der stumme, buckelige Alte ist erst nirgendwo zu sehen, doch dann taucht er aus einem der Nebengebäude auf und Thomas beobachtet, wie er zur Küchentür schlurft. Dort wirft er einen Blick in die leere Küche hinein, dreht sich dann wieder zum Hof um, lächelt Thomas mit seinem fast zahnlosen Lächeln zu und winkt ihn dann plötzlich mit seiner verkrüppelten Hand zu sich.
Thomas ist argwöhnisch. Alle sehen in Joseph einen harmlosen alten Deppen, der so gutmütig ist, dass er sogar dann noch lächelt, wenn ihm die Jungen auf der Straße Schimpfwörter hinterherrufen, während er mit seinem Eselskarren durch Monkstown unterwegs ist, auf der Suche nach Essensabfällen für seine Schweine. Aber Thomas hat ihn auch schon mehrmals mit seinem Karren in der Nähe von Blackrock House am Meerufer stehen sehen. Stundenlang starrte er dort auf die Wellen hinaus und grunzte dabei vor sich hin, als würde er mit irgendeinem unsichtbaren Unbekannten ein hitziges Gespräch führen.
Jetzt schlüpft Joseph sogar durch die Küchentür ins Haus hinein, obwohl es ihm verboten ist. Thomas möchte nicht, dass Molly mit Joseph allein in der Küche sein muss, wenn sie zurückkommt. Deshalb geht er Joseph nach und befiehlt ihm, das Haus zu verlassen. Sonst folgt Joseph furchtsam allem, was man ihm sagt, aber an diesem Tag ist das anders. Statt in den Hofzurückzuschlurfen, packt er auf einmal mit brutalem Griff den Kragen von Thomas’ Jacke. Seine Augen sind unnatürlich weit aufgerissen und blutunterlaufen. Seine Haut ist rot gefleckt und sein Atem stinkt.
Die Nonnen rühmen an ihm, dass er der geschickteste Schweineschlachter in der Gegend sei. Die Schweine vertrauen ihm. Sie gehen willig zur Schlachtbank, weil sie glauben, dass er dort mit einer besonderen Belohnung auf
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