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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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Geschichten über meine Zeit als Rockmusiker vollgequasselt habe. Er beschwert sich dauernd, dass ich ihm damit die Ohren abkaue.«
    »Waren Sie wirklich Schlagzeuger in einer Band?«
    »Kein toller, aber das müssen Schlagzeuger ja auch nicht sein.« Bongo Drums lachte spöttisch auf. »Ein Schlagzeuger muss nur den Rhythmus halten und den Mädchen direkt vor der Bühne zuzwinkern können. Mit Musik kann man kein Geld machen, obwohl dauernd davon geredet wird, dass das große Geld hinter der nächsten Straßenecke auf einen wartet. Irgendwann muss man sich richtig seinen Lebensunterhalt verdienen, aber die Zeit vorher, immer unterwegs von Konzert zu Konzert, hat mir schon gefallen.«
    Bongo Drums ließ die Blicke gelangweilt über den leeren Schulhof schweifen und fing dann an, von seinen glorreichen Tagen zu schwadronieren, ließ die Namen von Bands fallen, die mir alle nichts sagten. Ich war immer noch so durcheinander von meiner Begegnung mit dem alten Mann, dass ich überhaupt nicht zuhörte, bis ich auf einmal mitbekam, wie der Name meines Vaters fiel.
    »Entschuldigen Sie, was haben Sie da gerade gesagt?«
    »Ich hab gesagt, dass ich eine Zeit lang sogar mit deinem Vater gespielt habe.«
    »Ich hab nicht gewusst, dass Sie ihn gekannt haben.«
    »Richtig kennen wär auch zu viel gesagt. Dessie Kilmichael war ein Einzelgänger. Mit ihm zu spielen war nicht leicht. Er änderte dauernd die Reihenfolge der Stücke und fügte ganz plötzlich ein Gitarrensolo ein, von dem man vorher keine Ahnung hatte. Mit einem normalen Sänger und Gitarristen spielte man ein normales Set, man wusste, woran man war, aber bei einem Auftritt mit deinem Vater musste man Gedanken lesen können.«
    »War mein Vater denn gut?«
    »Kommt drauf an, was man unter ›gut‹ versteht. Man konnte bei ihm nie sicher sein, wie der Abend verlaufen würde. Er war auf der Suche nach einem Sound, den man noch nie vorher gehört hatte. Alles andere interessierte ihn nicht. Es gab Abende, da war er super drauf und versetzte alle Zuhörer in einen Taumel. Und an anderen Abenden machte er einfach nur sein Ding und kümmerte sich nicht ums Publikum. Da kriegten wir dann nur sehr mäßig Beifall. Aber ich habe nie vorher und auch nicht danach jemanden wie ihn gehört. Dessie hat mir mal erzählt, dass er einen großen Song schreiben wollte, der ihn unsterblich machen würde. Na ja, dachte ich. Erst letztes Jahr habe ich einpaar Demotapes von ihm wiedergefunden und dabei wurde mir noch mal klar, wie unglaublich gut er wirklich war.«
    »Sie haben Aufnahmen von ihm?«
    »Nur Rohschnitte. Aber trotzdem ist natürlich alles da«, sagte Bongo. »Dessie war ein Perfektionist. Er hat immer noch mehr Zeit im Studio gebucht, um an seinem Album zu arbeiten, das dann nie herausgekommen ist. Sein Problem war, dass er bei seinen Takes nie zweimal dieselbe Version gespielt hat.« Bongo Drums schaute mich nachdenklich an. Ihm musste etwas in meinem Blick aufgefallen sein. »Aber … du kennst doch die Demos von ihm?«
    »Nein, ich hab noch nie ein Stück von ihm gehört.«
    »Aber … das kann doch nicht sein. Als du an dem Abend im Landschulheim auf deiner Gitarre gespielt hast, ist mir erst aufgefallen, dass ihr ja den gleichen Nachnamen habt. Und wie du manche Akkorde anschlägst, also bei allem Respekt vor dir, das ist eine direkte Kopie seines Stils.«
    »Meine Mutter hat alle Aufnahmen von ihm zerstört.«
    Bongo Drums lachte ungläubig, dann begriff er, dass ich das ernst meinte. »Warum?«
    »Keine Ahnung.«
    Bongo nickte. »Bei mir auf dem Speicher ist eine solche Unordnung, dass ich nicht weiß, ob ich die Bänder so leicht wiederfinde. Aber wenn du möchtest, schau ich mal.«
    Ich hatte so oft davon geträumt, eine Aufnahme von meinem Vater zu finden, aber jetzt, wo ich auf einmal die Gelegenheit hatte, seine Stimme vielleicht wirklich zu hören, wusste ich nicht, ob ich es ertragen würde, alle meine Illusionen womöglich zerstört zu sehen. Was, wenn er nun kein Genie gewesen war? Wenn seine Songs trotz aller Legenden über ihn nur zweitklassig waren?
    »Ich glaube, ich rede erst mal mit meiner Mutter drüber.«
    »Ja, mach das.« Bongo Drums musterte mich, als suchte er in meinem Gesicht nach den Zügen meines schon so lange verstorbenen Vaters. Ich wollte ihm zurufen, dass er damit aufhören solle. Gleichzeitig wünschte ich mir, dass er in mir etwas von meinem Vater wiederfand. Es war ein ungemütliches Gefühl.

F ÜNFUNDZWANZIGSTES K APITEL
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