Wo die verlorenen Seelen wohnen
»Die Tür für bettelarme Küchenmägde wie deine Großmutter. Ihr O’Driscolls wart immer schon Bauern und das seid ihr immer noch. Renn nach Hause zu deinem Vater, dem jämmerlichen Versager.«
»Nennen Sie ihn nicht so!«, rief Shane wütend.
»Wie erbärmlich, sich unter die reichen Leute in Sion Hill zu mischen, wenn man keine zwei Pennys in der Tasche hat. Ihr O’Driscolls wart immer schon zerlumpt und arm. Aber dafür habt ihr euch wie die Kaninchen vermehrt, in euren muffigen kleinen Zimmern hier an dieser Straße, bis sie im Kloster den Gestank von Armut, der da über ihre Mauern wehte, nicht mehr ertragen konnten. Alles keine Männer, die O’Driscolls. Geraldine ist zehnmal mutiger als du.«
»Lassen Sie Geraldine aus dem Spiel!«
Shane konnte nicht glauben, dass hier vor ihm derselbe sanftmütige Mann stand, mit dem sie sich vor ein paar Tagen angefreundet hatten.
»Du wärst nie gut genug für sie gewesen. Und jetzt lauf! Lauf davon zu deinen armen, ewig streitenden Eltern.«
Shane brauchte bloß die Tür zu öffnen und sich dann durch das Gebüsch im verwilderten Garten zu zwängen. Draußenwäre alles wie vorher. Der Mann wäre immer noch mit dem Rasenmäher auf dem Rugbyfeld unterwegs. Auf der Rock Road würde wie immer dichter Verkehr herrschen. Aber die Bemerkung über seine Eltern hatte ihn getroffen.
»Ich hab vor Ihnen keine Angst, Sie kranker alter Mann. Ich geh mit Ihnen in den Keller und beweise Ihnen, dass Sie ein verdammter Lügner sind.«
Die Katze sprang mit einem großen Satz auf den Fußboden und flitzte davon. In Thomas’ Gesicht war keine Spur mehr von Bosheit, Hohn oder Spott zu sehen. Seine Augen blickten Shane mit unsagbarer Traurigkeit an.
»Manchmal hab ich mich nicht unter Kontrolle und sage hässliche Dinge, die ich nicht so meine«, flüsterte er. »Denk noch einmal darüber nach, bevor du das tust.«
Aber Shane wollte nicht nachdenken und abwägen. Er würde dem letzten Spross der McCormack-Familie beweisen, dass die O’Driscolls keine Feiglinge waren, und dann würde er dieses Haus verlassen und nie mehr betreten. Er durchschritt hastig den Gang, der in den Kellerraum führte. Der Stein dort war bereits beiseitegeschoben. Im Keller war es finster, aber das Wasser schimmerte.
»Willst du wirklich unbedingt reich werden?«, fragte Thomas’ Stimme in seinem Rücken. Es war ein Bedauern herauszuhören.
»Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll, damit wir es schnell hinter uns gebracht haben.«
»Hol das Messer mit dem schwarzen Griff aus dem Wasser. Die Würfel auch.«
Shane kniete sich auf den Boden. Noch nie hatte er seine Hand in Wasser gehalten, das so eiskalt war.
»Reich mir das Messer!«, befahl Thomas.
»Was werden Sie damit tun?«
»Gib es mir einfach. Ich war früher einmal ein guter Junge. Ich wollte sogar Priester werden.« Thomas schaute auf das Messer, das Shane ihm reichte. »Besser, du wirfst diese Würfel in die Gosse. Sie haben mir nie Glück gebracht, weder in diesem Leben noch in einem anderen.«
Shane fühlte bei diesen Worten einen Schauder durch seinen ganzen Körper laufen. Aber durch die abfällige Bemerkung über seine Eltern war er in seinem Stolz immer noch gekränkt.
»Mein Großvater hat Ihre Mutter immer nur eine verbitterte, herrschsüchtige alte Hexe genannt.« Shane beugte sich noch einmal über das Wasser und holte die beiden Würfel heraus. Schaudernd fiel ihm ein, dass sie aus Menschenknochen geschnitzt waren.
»Du hältst die Reliquie des heiligen Mochanna in der Hand«, sagte Thomas. »Viele Generationen lang befanden sie sich im Besitz der Familie Dawson. Auf ihrem Sterbebett legte Henry Dawsons Mutter sie ihm in einem Medaillon um den Hals und bat ihn, immer darauf aufzupassen. Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl dieses Medaillons auf meiner Brust. Ich erinnere mich noch genau daran, wie es war, als sie starb. Auf einmal erbte ich den gesamten Besitz unserer Familie. Ich war viel zu jung dafür. Ein junger Tölpel. Aus Trauer auf Abwege geratend. Von Lüstlingen zur Ausschweifung verführt.«
»Wovon reden Sie?«
»Ich rede davon, wie es ist, wenn man schließlich nichts mehr hat, was man verspielen kann. Ich rede davon, wie es ist, wenn man allein im Hellfire Club aufwacht und alle anderen, die mit dir getrunken und gefeiert haben, gegangen sind. Ich rede davon, wie eine schwarze Katze auf einmal die Gestalt ändert und ein Mann wird, wenn man den Teufel einen Mann nennenkann. Er hauchte einmal über
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