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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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die Reliquie und reichte sie mir dann zurück – er habe ihr eine neue Form gegeben, so sagte er, damit sie besser zu meiner verderbten Seele passten. Zwei Glücksspielwürfel. Er verkündete, meine eigene Seele – die Seele von Henry Dawson – gegen alle anderen Seelen aufwiegen zu wollen, die ich ihm im Lauf der Zeit in sein Netz locken würde. Es würde ihm einen Höllenspaß bereiten, so sagte er, die guten und bösen Seelen in mir ständig um die Übermacht ringen zu sehen.«
    »Sie sind wirklich krank im Kopf«, sagte Shane. »Und ich glaub Ihnen auch nicht, dass die Würfel wirklich aus dem Knochen eines Heiligen geschnitzt sind.«
    »Da hast du recht. Mochanna war ein Feigling und hatte Angst, seinem Gott gegenüberzutreten. Er schloss einen Pakt mit dem Teufel und bekam seinen Wunsch erfüllt, ewig weiterzuleben. Man fand ihn tot in seiner Zelle, ein junger Novize kniete neben ihm und hielt mit zitternder Hand ein blutbeflecktes Messer, von dem er nicht wusste, wie es dorthin gekommen war.«
    »Sie sind ein Geschichtenerzähler … ein Wahnsinniger … ein Lügner.«
    »Warum bist du dann noch hier?«
    »Ich geh, wann ich will.«
    Shane zitterte. Er wollte aufspringen und gehen, alles in ihm wollte das, trotzdem konnte er nicht. Gier und Neugier hielten ihn umklammert. Es ekelte ihn bei dem Gedanken, dass er da gerade Menschenknochen in der Hand hielt. Er wollte die Würfel wegwerfen, aber gleichzeitig drängte es ihn danach, einen Wunsch auszusprechen. Der alte Mann war nicht mehr richtig im Kopf, aber trotzdem … wenn er es sich ganz stark wünschte, vielleicht änderte sich dann das Schicksal seiner Eltern. Vielleicht gewann einer von ihnen im Lotto oder bekam eine Gehaltserhöhung. Es war ihm egal, woher das Geld kam, Hauptsache, sie hatten endlich genug, damit sie mit ihren endlosen Streitereien aufhörten. Er schloss die Augen und warf die Würfel in den Brunnen. »Mach mich reich«, flüsterte er. »Egal wie, aber mach mich reich.«
    Wie aus weiter Ferne hörte Shane den sanften Aufprall der beiden Würfel auf dem Wasser. Er spürte, wie Thomas mit eisernem Griff sein Handgelenk packte und schlug erschrocken die Augen auf. Der Greis schien die letzte Kraft aufzubieten, die noch in seinem hinfälligen Körper steckte. Mit dem Messer, dessen schwarzen Griff er fest umklammert hielt, machte er einen Schnitt über Shanes Handgelenk, dann über sein eigenes und presste die Wunden gegeneinander, sodass sich das Blut vermischte.
    »Wir sind jetzt Blutsbrüder, junger O’Driscoll«, sagte er. »Von jetzt an bis in alle Ewigkeit.« Er tauchte ihre beiden Hände ins Wasser. »Es gehen immer zwei Wünsche in Erfüllung: der zweite Wunsch gehört mir und all den verlorenen Seelen, die in mir wohnen.«

E INUNDDREIßIGSTES K APITEL
    J OEY
    N OVEMBER 2009
    I ch muss dich treffen, bitte! Nur ein Mal, sag wo und wann. Ich drückte auf »Senden« und hoffte, dass Geraldine ihr Handy – wie fast alle in der Klasse – nicht ausgeschaltet, sondern nur auf stumm gestellt hatte. Gestern hatte ich die unheimliche Begegnung mit dem alten Mann vor ihrem Haus. Heute war Mittwoch, der Tag, an dem wir nur bis mittags Schule hatten. Die letzte Stunde war Wirtschaft, das einzige Fach, das Shane nicht gewählt hatte, und Geraldine war immer viel lockerer, wenn er nicht in der Nähe war. Ich sah, wie sie auf ihr Handy schielte. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. Natürlich wusste sie, dass ich sie beobachtete. Aber sie machte keine Anstalten, mir zu antworten.
    Kurz darauf stellte mir der Lehrer eine wirklich einfache Frage und ich ärgerte mich, dass ich nur ein Stottern hervorbrachte. Aber ich konnte mich einfach nicht auf den Unterricht konzentrieren, wenn Geraldine vor mir saß. Wie auf Kohlen hockte ich den Rest der Stunde da und wartete auf eine Antwort von ihr. Nichts. Erst danach, als wir uns nebeneinander im Gedränge auf den Flur hinausschoben, sagte sie zu mir: »Ich hab dir doch gesagt, Joey, ich treff mich nicht mit Jungs. Ich kenn jede Menge Mädchen, die total begeistert wären, mit dirmal ins Kino zu gehen. Mädchen, die scharf darauf sind, sich mit einem Jungen wie mit einer Trophäe zu schmücken. Such dir aus, wen du willst. Ich helf dir sogar dabei.«
    »Das kann ich schon selber, wenn ich will«, sagte ich. »Ich frag aber dich.«
    Sie wurde rot. »Du hast schon eine ganz besondere Art zu fragen. Das muss ich sagen. Als würde dir was auf der Seele brennen.«
    Wir näherten uns dem

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