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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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hatte, um seine Einsamkeit zu verbergen.
    »Shane hat das gemacht.«
    »Aber warum?«
    »Weil er eifersüchtig ist, dass ich von jemandem geliebt werde.«
    »Warum sollte ich dir glauben?«
    »Weil ich dein Sohn bin.«
    »Ich hab einmal einem Mann geglaubt, weil er mein Mann war. Aber er hat mich belogen und betrogen.«
    »Hör auf, solche Sachen zu sagen, Mum.« Ihre Worte machten mit allen meinen Kindermärchen über meinen Vater Schluss. »Das klingt so, als hättest du ihn gehasst.«
    »Ich hab ihn geliebt. Deshalb tut es ja immer noch weh«, sagte Mum. »Und deshalb hab ich dir ja bisher auch noch nie davon erzählt. Es machte mir nichts aus, dass wir fast nie genug Geld hatten. Ich bin auch gern arbeiten gegangen, um für uns beide was zu verdienen, damit er genug Freiraum für seine Musik hatte und sich ganz seinem Ziel widmen konnte, ein Geniezu sein. Ich hab erst dann mit dem Trinken angefangen, als ich rausgefunden habe, dass er mich mit jeder hübschen jungen Blondine, die ihn bei einem Konzert anhimmelte, betrogen hat. Wenn dein Dad weitergelebt hätte, Joey, hätten wir uns getrennt. Du hättest ihn nur sonntags gesehen, wenn er dich in den Zoo oder zu McDonald’s mitgenommen hätte.«
    »Falls er dann überhaupt aufgetaucht wäre«, sagte ich. Die Verehrung, die ich meinem toten Vater immer entgegengebracht hatte, verwandelte sich in Bitterkeit.
    »Natürlich wäre er immer gekommen. Für dich hätte er alles getan, Joey. Von der ersten Minute an gab es zwischen euch beiden ein besonderes Band. So stark, dass ich sogar eifersüchtig war. Er hat mich zwar betrogen, aber er wäre barfuß durch die Hölle gegangen, wenn du dringend seine Hilfe gebraucht hättest.«
    »Bitte sag, dass du nicht glaubst, dass ich das mit dem Demotape und dem Wodka und den drei Rosen gemacht habe.«
    »Ich weiß nicht, Joey, keine Ahnung.«
    »Ich schwör dir, dass ich dich nie anlügen würde. Ich bin nicht wie Dad.«
    Die Worte fühlten sich in meinem Mund wie ein Verrat an. War es das, was Shane wollte? Nicht nur einen Keil zwischen mich und Mum treiben, sondern auch das Bild zerstören, das ich bisher von meinem Vater hatte?
    »Ich glaub dir«, sagte sie und schien zu spüren, wie schwer es mir gefallen war, das zu sagen. »Aber warum sollte dein Freund so etwas tun?«
    »Das werde ich jetzt gleich herausfinden.«
    Mum versuchte, ihre Arme um mich schlingen, aber ich war so wütend, dass ich mich von ihr jetzt nicht zurückhalten ließ. Mein einziger Gedanke war, dass ich jetzt ganz schnell Shanefinden musste. Mum rief mir noch etwas nach und bat mich umzukehren. Aber ich hörte nicht auf sie. Ich rannte los. Als ich auf der Main Street war, tat jeder gut daran, sich mir besser nicht in den Weg zu stellen, so zornig war ich.

V IERZIGSTES K APITEL
    J OEY
    N OVEMBER 2009
    U m halb neun war ich an dem Haus an der Pine Lawn, in dem Shane zur Untermiete wohnte. Ich klopfte so heftig an der Tür, dass Mrs Higgins sofort öffnete. Erschrocken sah sie mich an.
    »Wo ist er?«
    Shanes Tür ging auf. Aus der Haltung, mit der er im Türrahmen stand, war mir gleich klar, dass er mich erwartet hatte. Mrs Higgins blickte zwischen uns beiden hin und her.
    »Aber dass ihr mir hier keinen Streit anfangt, Jungs«, sagte sie.
    »Warum sollten wir Streit anfangen, Mrs Higgins?«, fragte Shane.
    »Ihr schaut einfach so aus, als ob …«
    »Ich habe Joey versprochen, ihm bei der Geschichtshausaufgabe zu helfen. Komm rein, Joey«, erwiderte Shane. »Wir werden Sie auch nicht weiter stören, Mrs Higgins.«
    Ich ging in sein Zimmer. Er machte die Tür zu. Wir lauschten beide den Schritten, die sich durch den Gang entfernten. Kaum hatte ich gehört, dass Mrs Higgins die Küchentür hinter sich zugezogen hatte, packte ich Shane und stieß ihn gegen die Tür.
    »Ich könnte dich umbringen! Was fällt dir ein, meiner Mutter das anzutun!«
    »Jetzt beruhige dich mal, Joey.« Shane wirkte eher belustigt.Bedroht schien er sich durch mich jedenfalls nicht zu fühlen. »Dass du jemand umbringst, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Setz dich hin und erzähl mir, was los ist.«
    »Was los ist? Erklär mir mal, warum du meiner Mutter das angetan hast!«
    »Was denn?«
    »Du bist in unser Haus eingebrochen.«
    »Du in meines auch.«
    Ich ließ ihn los und machte einen Schritt zurück. »Was?«
    »Letzte Nacht. Ich hab dir gesagt, dass du dich um den alten Mann nicht kümmern sollst. Aber du bist schwach, genauso wie dein Vater. Ihr lasst euch so

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