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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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Wodka mitbrachte. Vorher hatte ich Alkohol noch nie angerührt. Wenn man schüchtern ist, wird das Leben nach ein paar Gläsern leichter. Als wir uns das erste Mal küssten, schmeckten seine Lippen nach Schnaps. Nach seinem Tod erinnerte mich jeder Schluck Wodka an ihn. Ich rede ja nicht viel über ihn, aber eines sag ich dir: Er hat zwar auch seine Kanten gehabt, aberböse oder heimtückisch war er nicht. Er hätte nie getan, was du mir heute angetan hast.«
    »Aber ich hab nichts gemacht, Mum.«
    Mum hob die Flasche vom Boden auf und ging in die Küche. Sie schüttete den Rest des Wodkas in den Abfluss und schmiss die Flasche in den Abfalleimer. Als ich in die Küche kam, stand sie am Fenster und schaute hinaus.
    »Lüg mich nicht an, Joey. Mir kommt es so vor, als würdest du das extra machen, um herauszufinden, wo meine Schwachstelle ist. Spiel keine Spielchen mit mir. Hast du jetzt herausgekriegt, was du wissen wolltest, oder warten noch mehr solcher Tests auf mich? Wenn du gewollt hast, dass ich zusammenbreche und nur noch heule, hat das ja prima geklappt. Denn als ich reingekommen bin und auf einmal Dessies Stimme gehört habe, ist genau das passiert.«
    »Aber wie hast du seine Stimme hören können, Mum? Wovon redest du?«
    »Jetzt tu nicht so. Ich bin müde von der Arbeit gekommen, und als ich die Tür aufsperre, dröhnt mir aus dem Wohnzimmer in voller Lautstärke das Demotape deines Vaters entgegen. Du hast die Anlage voll aufgedreht, obwohl ich dich extra gebeten hatte, die Lieder nur allein in deinem Zimmer anzuhören. Und dann hast du eine Flasche Wodka aufgemacht und schon mal das erste Glas vollgeschenkt. Warum du dann auch noch die halbe Flasche auf den Teppich ausgeschüttet hast, weiß ich nicht. Wahrscheinlich damit es so richtig nach Säuferbude stinkt. Und als wär das noch nicht genug, hast du dann auch noch drei Rosen auf den Boden gestreut, wie Dessie es mir im ersten Lied auf dem Demotape verspricht – dem ersten Lied, das er für mich geschrieben hat.«
    »Du weißt, dass ich so was nie tun würde, Mum.«
    »Ja, tatsächlich? Ich hab auch gedacht, ich würde deinen Vater kennen, aber da gab es ein paar Sachen, die hab ich erst rausgefunden, nachdem wir geheiratet hatten. Diese Lieder haben das in mir alles wieder aufgewühlt, Joey. Ich hab die Musik gleich ausgemacht, aber danach hab ich eine Stunde lang dagesessen, nur geheult und mich danach gesehnt, ein paar Gläser hinunterzukippen.«
    »Und hast du es gemacht, Mum?«
    »Als ich vor fünfzehn Jahren alles weggeschmissen habe, was mich an deinen Feigling von Vater erinnert hat, habe ich mir geschworen, dass ich nie mehr einen Tropfen Alkohol trinken würde. Daran hab ich mich gehalten. Ich bin nämlich besser darin, Versprechen zu halten, als Dessie es war.«
    »Bitte nenn Dad keinen Feigling«, sagte ich. »Ich hab von dir bis jetzt noch nie ein schlechtes Wort über ihn gehört.«
    »Vielleicht ist es dann höchste Zeit, dir auch mal die Wahrheit zu sagen: Er war ein viel zu großer Feigling, um jemals ein Album herauszubringen. Er sagte immer, dass er noch nach dem perfekten Sound suche, der ihn unsterblich machen würde. Aber eigentlich hatte er nur Angst vor dem Misserfolg.«
    Sie drehte sich zu mir. Ich konnte sehen, wie verletzt und durcheinander sie war.
    »Ich schwör dir, Mum, ich hab mir das Demotape von Bongo Drums nicht geholt.«
    »Willst du damit sagen, dass es von allein hier hereinspaziert ist und unterwegs schnell noch eine Flasche Wodka gekauft hat? Dass es mit seinem eigenen Schlüssel die Tür aufgesperrt und dann genau zu dem Zeitpunkt zu spielen angefangen hat, als ich nach Hause kam?«
    Plötzlich dämmerte mir, wer das alles hier veranstaltet hatte. Aber es war keine Spur von einem Einbruch zu sehen. Dochdann erinnerte ich mich an den Abend, an dem ich meine Schultasche bei Shane gelassen hatte, nachdem wir miteinander Geschichte gelernt hatten. Er hat den Schlüssel darin nachmachen lassen, bevor er mir die Schultasche am nächsten Tag auf meinen Platz legte, so musste es gewesen sein.
    »Ich war es nicht.«
    »Und wer sollte sonst so was machen?«
    Jemand, der mit aller Macht versuchte, einen Keil zwischen mich und meine Mutter zu treiben. Wie hatte Shane selbst gesagt? »Freunde dich nie mit einem einsamen Menschen an, Joey.« Trotz seiner umgänglichen Art war Shane ein einsamer Mensch und Einzelgänger. Die Leute in unserer Klasse glaubten, ihn zu kennen. Aber sie sahen nur die Maske, die er aufgesetzt

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