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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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Kanzlei hat eine Niederlassung in Dublin. Nach dem Tod Ihres Bruders war ich in Irland und habe mit dem Testamentsvollstrecker das weitere Vorgehen besprochen. Ich habe mit ihm auch die alte Molkerei besichtigt.«
    Thomas richtet sich auf. »Das Haus steht noch? Mit allen Nebengebäuden?«
    Der Rechtsanwalt nickt. »Ich bin kein abergläubischer Mensch, Mr McCormack, aber seither haben mich die seltsamsten Albträume verfolgt. Dieses alte Haus hat schon eine ganz besondere Atmosphäre.« Er dreht sich zum Arzt um. »Nach dem Tod der Mutter hörten die beiden älteren Brüder von Mr McCormack auf, miteinander zu reden. Keiner von beiden hat jemals geheiratet. Es durfte niemand das Haus betreten. Pete wohnte im ersten Stock und Frank im Erdgeschoss. Im Ort nannten sie ihn nur noch Shotgun-Frank, weil er sofort das Gewehr herauszog, sobald ein Bauunternehmer oder Immobilienmakler auftauchte, um einen Blick auf das Objekt zu werfen.«
    Der Rechtsanwalt wendet sich wieder an Thomas. »Ihr Bruder Pete litt im Alter an Demenz. Er ließ sich einen Pferdeschwanz wachsen und behauptete, Stimmen zu hören. In Blackrock war er ein vertrauter Anblick. Als die Leute ihn ein paar Wochen lang nicht mehr gesehen hatten, erlaubte Frank widerstrebend der Polizei, das Haus zu betreten. Er beschwerte sich darüber, dass Pete zu faul sei, um aufzustehen. Pete lag tot im Bett und das ganze Zimmer war schwarz vor Fliegen. Die Sozialarbeiter konnten für Frank wenig tun. Er schien in seinem hohen Alter nicht mehr ganz bei Verstand zu sein. Wenige Monate nachdem Pete gestorben war, fand man auch ihn tot im Garten. Das Gewehr hatte er auf dem Schoß. Die Leute erzählten sich, er habe wie ein Besessener eine schwarze Katze zu verscheuchen versucht, die immer wieder über die Mauer in den Garten kletterte.« Der Rechtsanwalt klopft Thomas voller Mitgefühl auf die Schulter. »Tut mir leid, dass ich Ihnen so schlechte Nachrichten überbringe, Mr McCormack, aber ich habe auch eine gute Neuigkeit für Sie.«
    »Welche denn?«
    »Das Grundstück ist als Bauland ein Vermögen wert. Frankhat Ihnen alles vererbt. Seit drei Jahren steht das Haus nun leer, weil wir Sie bisher nicht auffinden konnten. Aber zum Glück ist uns das ja jetzt gelungen.«
    Thomas schaut aus dem Fenster. Siebzig Jahre lang hat er versucht, seine Spuren zu verwischen, aber die Stimmen in seinem Kopf haben ihm immer zugeflüstert, wenn die Zeit gekommen sei, würde er sich nicht mehr verstecken können. Er versteht kaum, was der Rechtsanwalt zu ihm sagt, weil die Stimmen aufgeregt durcheinanderrufen: Es geht nach Hause, es geht nach Hause!
    »Meine Frau behauptet, dass ich geradezu davon besessen war, Sie aufzutreiben, Mr McCormack. Ich hab sogar von Ihnen geträumt. Noch nie hatte ich so viel Mühe damit, eine Person zu finden. Ich hatte den Eindruck, Sie wollten immer wieder alle Spuren hinter sich auslöschen.«
    Thomas wendet sich ihm zu. »Was wissen Sie alles über mich?«
    »Ab und zu gelangten spärliche Nachrichten nach Blackrock. Ihren Brüdern wurde zugetragen, dass Sie der einzige Überlebende waren, als während Ihrer Zeit bei der Marine Ihr Kriegsschiff sank. Achtzehn Tage trieben Sie allein in einem Rettungsboot. Ich habe in Ihrer Militärakte nachgelesen. Als man Sie auffand, waren Sie in einem Zustand der Raserei. Man hat Sie in eine Irrenanstalt gebracht, wo Sie allen erzählten, dass Sie eigentlich Priester seien. Die Ärzte konnten schließlich Ihre Familie ausfindig machen, indem Sie bei allen irischen Priesterseminaren nachfragten, ob dort jemals ein junger Mann mit Ihrem Namen als Kandidat eingeschrieben war. Eines Morgens waren Sie dann plötzlich verschwunden.«
    »Sie haben kein Recht, mich so zu verfolgen«, sagt Thomas auf einmal wütend. »Ich bin hier Patient in einer Klinik.«
    »Sie waren schon in vielen Nervenkliniken Patient und außerdem mehrmals im Gefängnis. Einer Nonne fiel auf, dass Sie niemals Besuch bekamen. Sie machte sich kundig, trieb Ihre Brüder auf und schrieb ihnen einen Brief, in dem sie sie bat, doch mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.«
    »Ich hab Nonnen noch nie gemocht«, sagt Thomas. »Können ganz schön scharfe Zungen haben, wenn man für sie arbeitet.«
    »Der Brief der Nonne war der Grund dafür, weshalb Ihre Brüder sich zerstritten«, fährt der Rechtsanwalt fort. »Der eine wollte Ihnen schreiben, der andere war der Überzeugung, dass Sie Ihrer Mutter das Herz gebrochen hatten, und wollte mit Ihnen nichts mehr zu tun

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