Wo die Wasser sich finden australien2
Himmels, rührte sich auch wieder die Trauer. Zwei Männer in ihrem Leben. Einer tot. Der andere fort.
Wieder ließ sie den Blick über die wunderschöne weite Wildnis wandern. Zu zerklüftet, um je gezähmt zu werden. So massiv, so wild, so uralt. Sie spürte den Überschwang des Lebens und begriff, dass sie, Tom und Charlie allesamt ein Teil davon waren. Sie alle waren ein Teil jener unermesslichen, atmenden Wildnis, die ihr hier zu Füßen lag. Dann wendete sie die Stute der Hütte zu und ritt vor den kalten
Windstößen davon, die über und durch Millionen Eukalyptusbäume gefegt waren.
Rebecca war überrascht, wie zusammengesunken und alt die Hütte inzwischen wirkte. Die tiefen Bergwolken hatten alles in Feuchtigkeit gepackt, bis das Holz zu verrotten und das Blech zu rosten begonnen hatte. Sie musste mit Sally hierher kommen, dachte sie. Vielleicht wusste Sally ja, ob die Denkmalschützer vom Heritage Funding einen Beitrag zur Erhaltung leisten würden. Es war unübersehbar, dass Tom an der Hütte gearbeitet hatte, während er hier oben gelebt hatte. Rebecca fuhr mit den Fingerspitzen über die glänzenden Nägel, die neben den rostigen alten in den Verandaboden geschlagen worden waren.
Sie schob den Türriegel zurück und trat in die stille Luft im Inneren der Hütte. Der Wind pfiff zwar durch die Nagellöcher des Blechdaches und die Schlitze zwischen den handgesägten Bodenplanken, aber obwohl die Hütte zugig war, fühlte sich Rebecca hier drin geborgen. Behütet.
Während sie mit den Fingern Toms Initialen und jene ihres Großvaters und Urgroßvaters nachfuhr, sprach sie jeden einzelnen Namen laut aus. Dann zog sie ein Taschenmesser aus dem Lederbeutel an ihrem Gürtel und klappte die Klinge aus. Sie begann ihre Initialen tief in den dicken Stamm zu schnitzen. Dabei wurde ihr bewusst, dass es verlorene Energie war, Charlie nachzutrauern. Sie gehörte hierher. An diesen Fleck, wo sich zwei Flüsse trafen.
Kapitel 47
Schon von draußen konnte Rebecca ihren Vater hinter dem Fensterrahmen in seiner Blockhütte stehen sehen. Er stand an der Spüle und wusch Geschirr. Noch während sie auf Inky vorbeiritt, rief sie seinen Namen.
»Ich gehe noch die Post holen.« Er schwenkte ein Küchentuch zum Zeichen, dass er sie gehört hatte, und sah sie gefolgt von Mossy davonreiten.
Die Post kam dienstags und freitags. Dienstags fuhr Harry mit dem Auto los, um sie zu holen. Freitags ritt Rebecca selbst zum Briefkasten, wenn sie Zeit dazu hatte. Manchmal prüfte sie unterwegs die Rinderherde oder ritt mit ihren Zaunspannern und einer Zange in der Satteltasche sowie einer Drahtrolle über ihrer Schulter die Zäune ab. Während des Ritts hatte sie Zeit zum Nachdenken. Sie mochte den Freitag. Die vergangenen zwei Jahre waren im Flug vergangen. Die Tage waren wie in einem hektischen Rausch vorbeigezogen. Der Freitag war ihr Ruhetag.
Heute war sie zufrieden, nur die Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren. Sie verbannte alle anstehenden Entscheidungen, Geschäftspläne und Schulden aus ihrem Kopf und ließ sich von der Sonne wärmen. Ihr Blick ging über die Merinoschafe mit ihren Lämmern. Während die Mutterschafe grasten, streckten sich die Lämmer in der Sonne aus. Kleine leuchtend weiße Punkte auf einer grünen Decke. Auf der nächsten Weide hoben fette Anguskühe mit glänzendem Fell die Köpfe und schauten ihr beim Vorbeireiten zu, bevor sie sich behäbig kauend umwandten, um nach den neugierigen Kälbern zu sehen, die an den Flanken ihrer Mütter herumtollten.
Nachdem Rebecca das erste Tor auf der Straße geöffnet hatte, ließ sie die Stute den langen Anstieg zum Hügel hinauftrotten. Der rhythmische Hufschlag hallte durch die Bäume in die Schluchten.
Am Briefkasten beugte sich Rebecca über Ink Jets schweißbedeckte Schulter und hob die schwere, gewebte Posttasche an. Dann löste sie die große Schnalle und lockerte den Lederriemen. Die Stute verlagerte ihr Gewicht, winkelte einen Hinterhuf an und senkte den Kopf, um sich auszuruhen. Mossy lag hechelnd unter einer Schatten spendenden Akazie im hohen Gras.
Während des ersten Jahres hatte die Post nichts als Rechnungen gebracht. Rechnungen für Zuchttiere, Dünger, Saatgut, Heu, Maschinenteile, Strom, Telefon, Lebensmittel. Es schien kein Ende nehmen zu wollen. Manchmal hatte Rebecca die steifen Umschläge in der Faust zusammengepresst und zu weinen begonnen. Die Bankschulden lasteten auf ihren Schultern, als wollten sie Rebecca erdrücken. Doch jedes Mal
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