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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Unangenehmes sehr persönlich trifft.«
    Sie senkte den Blick und ließ ihren zweiten Drink unberührt stehen.
    »Du bist ein Engel. Ein Heiliger.«
    »Hoffentlich nicht. Als Heiliger muß man viel zu aggressiv und herrisch sein und sich überall hineinmischen... Ich glaube einfach an das Gute und an das Reine im Leben. Das ist alles.«
    »Es ist ein so schöner Standpunkt.«
    »Ein betrüblicher. Jeder, der ihn zu vertreten versucht hat - von Jesus Christus angefangen -, ist zum Schluß in Kalamitäten geraten.«
    »Vielleicht war das unser Problem. Du und ich - wir waren zu keusch.«
    »Keuschheit ist heute kein gefragter Artikel.«
    »Ich meine: wenn wir’s getan hätten, so wie alle anderen...« Sie sah ihn flehend an. »Warum haben wir nicht geheiratet, Andy? Schon vor Monaten?«
    »Es hätte deine Karriere ruiniert.«
    »Wieso denn? Fast alle Mädchen im St. Swithin sind verheiratet.«
    »Ja, aber mit achtbaren Studenten und Geldverdienern, nicht mit einem Außenseiter, wie ich einer bin. Und es hätte deine Familie zerstört. Das hätte ich nicht gern auf dem Gewissen gehabt. Ich glaube kaum, daß dein Vater mit meiner totalen Ablehnung der Gesellschaft sehr einverstanden wäre. Oder damit, daß du mich auf einem Soziologieseminar kennengelernt hast - als interessanten Fall.«
    »Ich kümmere mich keinen Deut um meinen Vater oder sonst wen.«
    »Vielleicht jetzt nicht, wo du ziemlich verzweifelt bist.« Muriel sagte nichts. »Willst du das Baby haben?«
    Sie nickte. »Ich hatte mich schon entschlossen, es loszuwerden - das war gar nicht so leicht, wie es in diesen Filmen und Romanen immer geschildert wird. Aber dann sagte er, er wolle es haben.«
    »Ich kann nur sagen, ich hoffe, du wirst sehr glücklich sein.«
    »Oh, Andy, ich danke dir!« Sie begann plötzlich laut zu weinen. Andy hielt sie fest in seinen Armen. Die anderen Gäste versuchten ostentativ so zu tun, als geschähe nichts Ungewöhnliches; Paare ließen sich in Kneipen zu allem möglichen hinreißen. »Was soll ich tun?« fragte sie verzweifelt.
    »Du hast dir nicht viel Raum zum Manövrieren gelassen, Schatz, das muß ich sagen.«
    »Aber ich liebe ihn doch nicht. Nicht ein bißchen. Das nach dem Ball bedeutete mir nicht mehr als ein beiläufiger Kuß, den man irgend jemandem im Dunkeln gibt. Ich weiß, den anderen Mädchen geht es auch nicht viel anders - aber ich hab’ jedenfalls meine Lektion erhalten.«
    »Wie sieht er aus?«
    »Oh, ungefähr einen Meter fünfzig groß, dickbäuchig, mit kleinen Füßen und einem großen Kopf.«
    »Das klingt bezaubernd.«
    Sie schwiegen eine Weile. Während sie ihr Gesicht mit dem Taschentuch aus ihrer großen Handtasche betupfte, sah sie zu ihm auf. »Es heißt Abschied nehmen, Andy. Ich glaube, ich hab’ dir weh getan. Das tut mir leid. Aber ich mußte es dir erzählen. Es war nur richtig und fair, nicht wahr? Außerdem fühl’ ich mich jetzt, nachdem ich mit dir gesprochen habe, viel besser.«
    »Nein, es heißt nicht Abschied nehmen. Da bin ich absolut anderer Meinung.«
    Sie lächelte verzagt. »Wir können dich kaum zur Hochzeit einladen.«
    »Heute ist Dienstag. Also noch fast eine Woche, in der so manches passieren kann. Es ist immer noch die Chance vorhanden, daß er von einem Autobus überfahren wird oder wenigstens Vernunft annimmt.«
    »Er ist leider für beides viel zu gewitzt.«
    »Laß mich etwas ausdenken.«
    »Was denn?«
    Andy zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber kann ich dich morgen irgendwie erreichen?«
    »Läute um zwölf Uhr dreißig die Telefonzelle im Aufenthaltsraum der Studenten an. Ich werde warten. Und dafür sorgen, daß er woanders ist.«
    »Möchtest du deinen Whisky nicht?«
    »Nein, eigentlich nicht. Entschuldige, daß ich dich veranlaßt habe, ihn zu bestellen.«
    »Geld bedeutet nichts, wenn man vom Glauben, von der Hoffnung und von der Nächstenliebe lebt.« Sie gingen hinaus auf die Straße. Der Regen hatte aufgehört, die Sonne war hervorgekommen und ließ vom glitzernd-feuchten Straßenpflaster und von den Dächern der dahinkriechenden Verkehrsmittel Dunst aufsteigen. »Schau, wie sparsam die Natur ist«, bemerkte Andy. »Was der Himmel herunterschickt, holt er sich im Verlauf der Begebenheiten wieder zurück. So war es, und so wird es immer sein. Die Welt ändert sich nicht, weißt du? Genausowenig wie sich ein Rad ändert, das immer schneller über einen holprigen Weg rollt.
    Sag mir, ist dein Vater, der verehrte Dean von St. Swithin, ein gesunder

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