Wo fehlt's Doktor?
ausstopfen zu lassen. Dann können Sie sie in einem Glaskasten im Klub aufhängen. Und alle anderen Fischer dürfen sie bewundern. Ich seh’ den alten Major und den Vikar jetzt schon vor mir, ganz blaß vor Neid.«
»Es geht mir noch immer nicht ein, wie Sie den Fisch dort hinter der Brücke gesehen haben. Von hier aus geht das nicht, Herr Doktor.«
»Pilcher, kaufen Sie sich noch eine Flasche Scotch.«
»Danke, Herr Doktor.«
»Halbe Feiern haben keinen Sinn. Da, nehmen Sie. Kaufen Sie sich eine ganze Kiste.«
»Danke, Sir.«
»Jetzt muß ich wieder nach London zurück. Werde fahren müssen wie die Feuerwehr!«
»Aber Sie sind ja bis auf die Haut naß, Herr Doktor.«
Jetzt schenkte ihm Sir Lancelot ein breites Lächeln. »Wirklich? Also, um ehrlich zu sein, ich hab’ es tatsächlich nicht bemerkt.«
12
Der Sturm erreichte London um die Mittagsstunde. Es regnete noch eine Stunde später, als Muriel eilig das Haus Lazar Row Nummer 2 verließ, in das sie unbemerkt hineingehuscht war, um ihren weißen Regenmantel zu holen. Über die Hauptstraße gelangte sie hinter das Tor von St. Swithin, wo sie besorgt Ausschau hielt, ob Sharpewhistle sich nicht in der Gegend herumtrieb. Er war jedoch ein fleißiger Mensch mit regelmäßigen Gewohnheiten und arbeitete pausenlos. Flott ausschreitend, den Blick starr nach vorn gerichtet, kam Muriel zur U-Bahn-Station, wo sie eine Fahrkarte zum Piccadilly Circus kaufte.
Sie verließ die Untergrundbahn beim Aufgang Shaftesbury Avenue und schaute besorgt auf die Uhr. Es war fast ein Uhr fünfzehn. Ein Mädchen von Muriels Gewissenhaftigkeit war gern pünktlich. Der Regen plätscherte noch immer herab, als sie in das düstere, enge Winkelwerk der Straßen von Soho einbog. Die Kneipe befand sich an einer Ecke neben einer pornographischen Buchhandlung und einem offenen Tor mit der einladenden Aufschrift »Aufgang für junge französische Modelle« - wahrscheinlich weder jung noch französisch und bestimmt keine Modelle, dachte sie.
Sie zögerte. Höchstwahrscheinlich im Schankraum... Sie stieß die Tür auf und merkte, daß sie richtig geraten hatte.
»Hallo, Muriel! Macht es dir etwas aus, dich unters Volk zu mischen?«
»Nein. Natürlich nicht.«
»Drinnen in der Bar neigt man dazu, mich in dieser Aufmachung schief anzusehen. Außerdem ist es hier billiger. Was hättest du denn gern?«
»Was trinkst du?«
»Tomatensaft, wie gewöhnlich.«
»Ich möchte einen doppelten Whisky.«
»Ach! Ein ernstes und fleißiges Mädchen wie du - und plötzlich so lasterhaft?«
»Ich hab’ ihn nötig. Ich hab’ dir etwas sehr Schwieriges zu sagen. Etwas Schreckliches.«
Er bestellte den Drink. Er war ein Mann in ihrem Alter, blaß, mit einer modisch herabfallenden Mähne, dünn, größer als sie. Obwohl er ausgebleichte, geflickte Jeans trug, ein weißes oben rund ausgeschnittenes Unterhemd und einen abgetragenen, wattierten grünen Anorak, machte er einen erfrischend sauberen Eindruck, als würden er und seine Unterwäsche täglich geschrubbt - was tatsächlich der Fall war.
»Was für schreckliche Neuigkeiten gibt es denn, Muriel? Hast du dich in jemand andern verliebt?«
»N-nein. Aber - oh, Andy, ich kann dir’s kaum sagen... ich bin im Begriff, einen andern zu heiraten.«
»Das könnte dazu führen, daß wir einander weniger sehen werden.«
»Die Hochzeit findet Montag statt.«
»Du scheinst den Ehestand ja direkt herbeizusehnen.«
»Es muß so schnell als möglich stattfinden. Ich bekomm’ nämlich ein Kind. So, jetzt ist es draußen, gleich am Anfang...« Sie hob ihr Glas und trank den Whisky in einem Zug aus.
»Trink noch einen!«
»Danke! Ja.«
»Wie ist das passiert?«
»Nach einer Tanzerei. Einer von den Studenten. Das Dumme ist, alles war im Nu vorbei. Ich hab’ wirklich geglaubt, so etwas dauert viel länger. Es hat mir gar kein Vergnügen gemacht. Überhaupt keins. Ich versteh’ nicht, was alle Leute daran so aufregend finden.«
Er nahm einen kleinen Schluck von seinem Tomatensaft. »Arme, arme Muriel!«
»Oh, Andy, ich wußte, du würdest so etwas sagen.« In ihrem Lächeln stand Dankbarkeit. »Darum mußte ich dich heute sehen. Ich hätte dich doch in Unwissenheit darüber lassen können, nicht wahr? Ich hätte es leicht vermeiden können, dich je wieder zu treffen.«
»Aber ich hab’ doch nichts außer Mitgefühl und Mitleid mit dir, Muriel. Ich sehe nicht ein, warum ich meine Lebensphilosophie ändern sollte, bloß weil mich etwas
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