Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
wartungsintensiv. Gehen sie kaputt, braucht man jemanden, der in der Lage ist, sie zu reparieren, und man braucht Ersatzteile. Im Jahr nach dem schweren Tsunami von 2004 erhielt eine Klinik in der Stadt Meulaboh auf Sumatra in Indonesien von internationalen Hilfsorganisationen insgesamt acht Brutkästen. Als Professor Timothy Prestero vom Massachusetts Institute of Technology Ende 2008 die Stadt besuchte, war keiner der acht mehr in Betrieb. Sie waren Spannungsschwankungen im Stromnetz zum Opfer gefallen, der hohen tropischen Luftfeuchtigkeit, und nicht zuletzt der Tatsache, dass die Mitarbeiter des Krankenhauses die englischen Reparaturhandbücher nicht lesen konnten. Das Beispiel der Brutkästen in Meulaboh kann als durchaus repräsentativ gelten: Es gibt Studien, die nahelegen, dass 95 Prozent aller an Entwicklungsländer gespendeten medizinischen Geräte innerhalb der ersten fünf Jahre kaputtgehen.
Prestero interessierte sich sehr für die kaputten Inkubatoren, denn die von ihm gegründete Organisation
Design that Matters
arbeitete seit mehreren Jahren an einem neuen Typ, der zuverlässiger und billiger in der Anschaffung sein sollte als die komplizierten amerikanischen und europäischen Geräte. Vor allem aber sollte er besser mit den vollkommen anderen Bedingungen in Entwicklungsländern zurechtkommen. Es ging nicht nur darum, ein funktionierendesGerät zu entwickeln, sondern auch eines, das – in Anbetracht der eher spärlichen Ersatzteilversorgung und des nicht immer vorhandenen Wartungs- und Reparaturpersonals – leicht zu reparieren war. Also entschieden sich Prestero und sein Team, ihren Inkubator aus Teilen zu bauen, die auch in den Entwicklungsländern ausreichend vorhanden waren. Die ursprüngliche Idee hatte der Bostoner Arzt Jonathan Rosen gehabt. Ihm war aufgefallen, dass es in Entwicklungsländern selbst in den kleinsten Städten funktionierende Autos gab, also mussten die Einwohner irgendwie in der Lage sein, sie fahrtüchtig zu halten. Es mochte weder Klimaanlagen noch Laptops oder Kabelfernsehen geben, aber die Toyota 4Runners funktionierten. Also trat Rosen mit folgender Idee an Prestero heran: Wie wäre es, einen Inkubator aus Autoteilen herzustellen?
Drei Jahre nach Rosens Vorschlag hatte das Team von
Design that Matters
einen Prototyp entwickelt, den
NeoNurture
. Äußerlich unterschied er sich kaum von den futuristisch aussehenden westlichen Hightech-Geräten, aber seine Innereien stammten aus der Automobilwelt. Sealed-Beam-Scheinwerfer erzeugten die so wichtige Wärme, Armaturenbrett-Ventilatoren bliesen gefilterte Frischluft ins Innere, und die Warntöne wurden von handelsüblichen elektrischen Türklingeln erzeugt. Zur Stromversorgung konnte, mit entsprechendem Adapterkabel, der Zigarettenanzünder eines Autos verwendet werden oder eine Standard-Motorradbatterie. Dass der
NeoNurture
aus Autoteilen bestand, war doppelt praktisch, weil damit nicht nur die lokale Ersatzteilversorgung gewährleistet war, fachkundiges (Auto-)Reparaturpersonal war ebenfalls vor Ort. Und das galt für die meisten Entwicklungsländer, wie Rosen festgestellt hatte. Um den
NeoNurture
reparieren zu können, musste man kein Medizintechniker sein, man musste nicht einmal das Handbuchlesen. Alles, was man können musste, war, einen kaputten Scheinwerfer zu wechseln.
Mit guten Ideen verhält es sich genauso wie mit dem
NeoNurture
: Sie entstehen stets aus Einzelteilen und Fähigkeiten, die an Ort und Stelle vorhanden und verfügbar sind. Wir stellen uns eine Innovation gerne als einen geistigen Durchbruch vor, als spontane Idee, die sich wie ein Phönix über alles bisher Dagewesene erhebt. Erdacht von einem brillanten Geist, der aufgrund seiner einzigartigen Gabe in der Lage ist, über den Muff des Althergebrachten und verknöcherte Traditionen hinauszublicken, aber das ist eine romantische Fantasie. Ideen sind wie Basteleien, zusammengebaut aus ebenjenen angestaubten Überresten des schon immer Dagewesenen. Wir übernehmen bereits vorhandene Ideen oder welche, über die wir zufällig gestolpert sind, und fügen sie zu etwas Neuem zusammen. Wir stellen uns Ideen zwar gerne als einen 40.000 Dollar teuren, funkelnagelneuen Inkubator vor, aber in Wahrheit sind sie eher ein Flickwerk aus alten Ersatzteilen, die zufällig in der Garage herumlagen.
Bis zu seinem frühzeitigen Tod im Jahr 2002 war der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould einem kuriosen Hobby nachgegangen: Er sammelte Schuhe aus den Entwicklungsländern,
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