Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
wird der Maßstab. Von der globalen Evolution begeben wir uns bis hinunter auf die mikroskopische Ebene der Nervenzellen und DNA. In der Mitte wechselt die Perspektive von der Natur zur Kultur, und der Maßstab wird wieder größer. Von der individuellen Gedankenebene bewegen wir uns über Arbeitsumgebungen und Städte bis hin zu weltweiten Informationsnetzwerken. Wenn wir die Geschichte der Innovation aus dem Blickwinkel des langen Zooms betrachten, erkennen wir, dass außergewöhnlich produktiveUmgebungen ähnliche Kreativitätsmuster aufweisen, die auf den verschiedensten Ebenen immer wiederkehren. Die Artenvielfalt in einem Korallenriff lässt sich nicht erklären, indem man nur den Werdegang der Korallen selbst betrachtet. Ein Riff kann so viele verschiedene Lebensformen hervorbringen und am Leben erhalten, weil es Muster aufweist, die immer wieder auftauchen: auf Ebene der Zellen, ganzer Organismen und sogar im gesamten Ökosystem. In ähnlicher Weise tauchen auch die Innovationsmuster in Großstädten oder dem Internet auf unterschiedlichen Ebenen auf. Der Blickwinkel des langen Zooms schenkt uns nicht nur neue Metaphern, sondern auch neue Einsichten.
Gerade der Wettbewerb ist hierfür ein hervorragendes Beispiel. In jedem ökonomischen Lehrbuch steht zu lesen, es wäre der Wettbewerb zwischen konkurrierenden Firmen, der Innovationen bei Produkten und Dienstleistungen hervorbringt. Betrachten wir Innovation jedoch aus der Perspektive des langen Zooms, stellen wir fest, dass Wettbewerb in der Entwicklungsgeschichte guter Ideen eine weit weniger zentrale Rolle gespielt hat, als allgemein angenommen wird. Innovation nur auf der Ebene von Individuen und Organisationen zu betrachten, wie es Standardlehrbücher meist tun, verstellt den Blick. Es entsteht ein Bild, in dem die Rolle von geheimer Forschungsarbeit und Wettbewerb à la »Survival of the fittest« überbetont wird. Der weiter gefasste Blick lässt uns erkennen, wie Offenheit und Vernetzung letztendlich fruchtbarere Ergebnisse hervorbringen als purer Wettbewerb. Diese Innovationsmuster gilt es zu erkennen; zum einen, weil es wichtig ist, die historische Entwicklung guter Ideen zu verstehen, zum anderen fällt es uns umso leichter, Umgebungen zu schaffen, in denen gute Ideen gedeihen, wenn wir diese Muster übernehmen – seien diese Umgebungen nun Schulen, Verwaltungseinrichtungen, Softwareplattformen, Lyrikseminare oder soziale Bewegungen. Wirdenken kreativer, wenn wir uns für die vernetzten Umgebungen öffnen, die Kreativität fördern.
In der wissenschaftlichen Literatur über Innovation und Kreativität wimmelt es nur so von feinsinnigen Unterscheidungen zwischen »Innovation« und »Erfindung«, zwischen verschiedenen Arten von Kreativität: künstlerischer, wissenschaftlicher oder technologischer. Ich habe mich mit voller Absicht für den am weitesten gefassten Begriff »gute Ideen« entschieden. Damit möchte ich von Anfang an auf die interdisziplinäre Herangehensweise dieses Buches hinweisen. Die hier gesammelten guten Ideen umfassen so unterschiedliche Ebenen wie Musikstile, wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Regierungsformen. Meine Prämisse lautet, dass es von größtem Nutzen ist, die Gemeinsamkeiten all dieser verschiedenen Formen von Innovation und Kreativität herauszuarbeiten, genauso wie es von größtem Nutzen ist, die Unterschiede zu erkennen. Zwischen dem Arbeitsfeld eines Dichters und dem eines Ingenieurs (oder dem Ökosystem eines Korallenriffs) mögen Welten liegen, aber wenn sie gute Ideen hervorbringen, stützt sich dieser Prozess stets auf ähnliche Muster der Entwicklung und Zusammenarbeit.
Wenn es eine Maxime gibt, die sich wie ein roter Faden durch dieses Buch zieht, dann die, dass wir oft besser beraten sind, wenn wir Ideen zusammenführen, statt sie argwöhnisch vor fremden Blicken zu schützen. Wie die freie Marktwirtschaft selbst wurde auch das Argument, Innovationsprozesse müssten geheim gehalten werden, lange Zeit mit dem Verweis auf die »natürliche« Ordnung der Dinge begründet. Wenn man die Geschichte von Innovationen in Natur und Kultur jedoch unvoreingenommen betrachtet, stellt sich heraus, dass Umgebungen, in denen gute Ideen abgeschirmt werden, auf lange Sicht weniger innovativ sind als offene Umgebungen. Gute Ideen müssen nicht vollkommen ungeschützt sein,aber sie wollen sich verbinden, miteinander vermischen und neu kombinieren. Sie wollen gedankliche Grenzen überschreiten und sich dadurch selbst
Weitere Kostenlose Bücher