Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
erkunden. Nur so konnte sie die lange Liste möglicher Molekülverbindungen durchgehen, bis endlich eine stabile dabei war, die sich zu den ersten lebenden Organismen weiterentwickeln konnte. Ohne das schöpferische Potenzial des Kohlenstoffs wäre die Ursuppe bis heute eine unbelebte Brühe von chemischen Elementen.
Die Bindungsfreudigkeit des Kohlenstoffs steht im Zentrum eines der berühmtesten wissenschaftlichen Experimente des 20. Jahrhunderts. 1953 schufen zwei Professoren der University of Chicago, Stanley L. Miller und Harold C. Urey, in einem Experiment mit einem geschlossenen System aus Glasröhren und Kolben Bedingungen, wie sie zu präbiotischen Zeiten auf der Erde herrschten. Die Hauptbestandteile der Versuchsanordnung waren Methan (CH 4 ), Ammoniak (NH 3 ), Wasserstoff (H 2 ) und Wasser (H 2 O). Kohlenstoff war also nur in dem beteiligten Methan enthalten. In einem der Kolben befanden sich zwei Elektroden, mit denen Miller und Urey mit kurzen Serien von Spannungsüberschlägen Blitze simulierten. Diesen Versuch ließen sie sieben Tage ununterbrochen laufen, und am Ende des ersten Zyklus stellten sie fest, dass über 10 Prozent des Methans sich zu einigen der für das Leben enorm wichtigen organischen Verbindungen umgebildet hatten: in Aminosäuren, Proteine und Nukleinsäuren. Miller sagte damals, schon ein kleiner Funke in einem simplen präbiotischenExperiment habe genügt, um elf von zweiundzwanzig für den Menschen wichtigen Aminosäuren herzustellen.
Vor ein paar Jahren analysierte ein Team von Wissenschaftlern die Originalkolben des Miller-Urey-Experiments und fand heraus, dass sich in einem, in dem die Umgebung eines unterseeischen Vulkans simuliert worden war, sogar alle zweiundzwanzig Aminosäuren gebildet hatten. In dem halben Jahrhundert, das seit Miller und Ureys »Urfunken« verstrichen ist, entstanden Hunderte von Theorien zur Entstehung des Lebens. Manche davon betonen besonders die Rolle der Selbst-Replikation, andere die Entwicklung des Stoffwechsels, wieder andere ziehen die enorme Hitze in der Umgebung unterseeischer Schlote als Erklärung heran oder Meteoriten, die die ersten Organismen auf die Erde gebracht haben sollen. Eines haben all diese Theorien jedoch gemeinsam: Sie setzen auf die kombinatorische Kraft des Kohlenstoffatoms. Es wären auch andere Szenarien denkbar. Forscher und vor allem Science-Fiction-Autoren haben Welten entworfen, in dem Siliziumatome der Grundbaustein des Lebens sind. Silizium steht ihm Periodensystem direkt unter Kohlenstoff und hat ebenfalls vier Valenzelektronen. Aber Silizium verfügt nicht über die einzigartigen Eigenschaften des Kohlenstoffs und kann deshalb nicht jene Doppel- und Dreifachbindungen eingehen, die für langkettige Fett- und Aminosäuren notwendig sind. Außerdem braucht Silizium weit mehr Energie als Kohlenstoff, um sich mit anderen Atomen zu verbinden. Auf der Erde gibt es einhundertmal so viel Silizium wie Kohlenstoff, und trotzdem hat Mutter Natur sich für das weit seltenere Element als Grundlage allen Lebens entschieden.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum siliziumbasiertes Leben unmöglich sein könnte: Siliziumverbindungen sind wasserlöslich. H 2 O spielt in den meisten Theorien zur Entstehung des Lebens nicht nur deshalb eine so große Rolle, weil Wasserstoff undSauerstoff wichtige Bestandteile organischer Verbindungen sind, sondern auch weil die ersten »chemischen Experimente«, aus denen schließlich alles Leben auf der Erde hervorging, im Wasser stattfanden. In gewisser Weise war das Miller-Urey-Experiment auch ein Versuch, Charles Darwins vage Ahnung, das Wasser könnte die Wiege allen Lebens sein, auf den Prüfstein zu stellen. In einem Brief an den Botaniker Joseph Hooker spekulierte Darwin, das Leben sei ursprünglich in einem »kleinen warmen Teich mit allerlei Ammoniak- und Phosphorsalzen darin, unter Einfluss von Licht, Wärme und Elektrizität« entstanden. In den meisten Theorien zur Entstehung des Lebens spielt eine Art Ursuppe als flüssiges Medium, in dem sich neue chemische Verbindungen bilden können, eine entscheidende Rolle. Kohlenstoff mag ein begnadeter Verbinder sein, aber ohne ein Medium, das zufällige Zusammenstöße mit anderen Elementen ermöglicht, wäre seine Bindungsfreudigkeit umsonst. All die eindrucksvollen Polymerketten könnten sich nicht bilden und würden hinter den verschlossenen Türen des Nächstmöglichen verborgen bleiben.
Wie der Kohlenstoff verfügt auch das H 2
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