Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
ermöglichten, ermöglichten die großen italienischen Innovatoren dem geistigen Leben in Europa neue Höhenflüge.
Historikern ist die Verbindung zwischen der Blüte von Kunst und Wissenschaft während der Renaissance und dem gleichzeitigen Aufkommen des Frühkapitalismus in Norditalien längst aufgefallen. Damit einher gingen natürlich weitere Innovationen in der Buchhaltung sowie dem Banken- und Versicherungswesen. Der Kapitalismus beschleunigte das Wachstum der italienischen Städte und schöpfte neues Kapital, das darauf verwendet werden konnte, Künstler und Architekten wie Michelangelo und Brunelleschi zu unterstützen. Aber der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Innovation ist subtiler als wir gemeinhin glauben. Freie Märkte sorgen zwar für neue Formen des Wettbewerbs und der Kapitalvermehrung, die die Entstehung und Verbreitung neuer Ideen beschleunigen können, aber wir sollten Märkte nicht nur nach dem Profit beurteilen, den sie abwerfen. Denken wir nur an eines der wichtigsten Werkzeuge des Kapitalismus, die doppelte Buchführung, die Goethe »eine der größten Erfindungen des menschlichen Geistes« nannte. Heutzutage ist sie der Eckpfeiler jeglicher Finanzbuchhaltung. Die Neuerung, jede Finanzbewegung in zwei Spalten (in der einen das Soll, in der anderen das Haben) festzuhalten, ermöglichte es den Kaufleuten, die Entwicklung ihres Unternehmens – sei es zum Positiven oder zum Negativen – mit nie gekannter Genauigkeit zu verfolgen. Als Erster niedergeschrieben hat das Prinzip der Franziskanermönch und Mathematiker Luca Pacioli im Jahr 1494, aber bei italienischen Bankiers und Händlern war die doppelte Buchführung schon seit mindestens zwei Jahrhunderten gebräuchlich. Wir wissen nicht, ob die Methode von einem einzelnen Visionär ersonnen wurde oder ob mehrere Händler sie unabhängig voneinander entwickelten. Es wäre auch denkbar, dass islamische Kaufleute sie nach Europa brachten. Wo auch immer sie herkam, zum Standard wurde sie zuerst in den großen Handelszentren Italiens wie Genua, Venedig und Florenz, wo die Kaufleute und Händler der frühen Renaissance sich gegenseitig Tipps gaben, wie die eigenen Finanzen am besten in den Griff zu bekommen seien. Was die Geschichte der doppelten Buchführung so faszinierend macht, ist die Tatsache, dass niemand sie als sein geistiges Eigentum beanspruchte, und das trotz des immensen wirtschaftlichen Nutzens, den sie brachte. Eines der wichtigsten Instrumente bei der Entstehung des modernen Kapitalismus scheint also kollektiv erarbeitet worden zu sein. Die doppelte Buchführung machte es viel einfacher, den Überblick über den eigenen Geldbesitz zu bewahren, aber die Idee selbst gehörte niemandem. Sie war einfach viel zu gut, um in den flüssigen Netzwerken der norditalienischen Städte nicht auf andere überzugreifen.
Dieses Beispiel illustriert eines der Schlüsselprinzipien bei der Entstehung von Märkten: Wenn ein Wirtschaftssystem sich von feudal zu den Frühformen des modernen Kapitalismus wandelt, wandelt sich gleichzeitig die Struktur von hierarchisch zu netzwerkartig. In einer Gesellschaft, die um Märkte organisiert ist, und nicht um Burgen und Klöster, wird die Entscheidungskompetenz automatisch auf weit mehr Köpfe und damit auf ein weit größeres Netzwerk verteilt. Die Innovationskraft des Marktes gründet zueinem nicht geringen Teil auf einer ganz simplen Gleichung: Ganz egal, wie klug die Machthaber auch sein mögen, wenn die auf dem freien Markt Schaffenden eins zu tausend in der Überzahl sind, wird der freie Markt zwangsläufig mehr gute Ideen hervorbringen als Burgen und Klöster. Städte und Märkte haben mehr Gehirne zur Verfügung für das kollektive Projekt, das Nächstmögliche zu erforschen. Und so lange es einen Spillover-Effekt zwischen diesen Gehirnen gibt, werden nützliche Innovationen sich umso wahrscheinlicher auch unter dem Rest der Bevölkerung verbreiten.
Mit dieser Art von vernetzten Innovationen meine ich ausdrücklich nicht ein »globales Gehirn« oder »Schwarmintelligenz«. Manche Dinge lassen sich zwar hervorragend im Kollektiv lösen – denken wir nur an Nachbarschaftsgemeinschaften in Großstädten oder an die Preisbildung auf dem freien Markt, auch die baulichen Meisterleistungen Staaten bildender Insekten könnten wir in dieser Liste anführen. Doch wie erst kürzlich von dem Informatiker und Musiker Jaron Lanier und auch schon früher von anderen kritischen Stimmen angemerkt wurde, sind
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