Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
konnten. Sie mussten nicht erst Millionen von Dollar ausgeben, um selbst einen geeigneten Videostandard zu entwickeln, und konnten sich stattdessen voll und ganz darauf konzentrieren, das Hochladen und Kommentieren der Clips so einfach wie möglich zu gestalten. Flash kam erst Ende 1996 auf den Markt, und Videos unterstützte die Plattform erst im Jahr 2002.
Um auf unser Beispiel aus der Mikrobiologie zurückzukommen: Die Differenzmaschine von 1830 war vergleichbar mit den Fettsäuren, die in der Ursuppe so etwas wie die erste Zellmembran bildeten. Babbages Rechenmaschine war ein riesiger Schritt nach vorn, zweifellos, aber so fortschrittlich sie auch war, die Differenzmaschine lag im Bereich des Nächstmöglichen, was auch der Grund ist, weshalb in den folgenden Jahrzehnten so viele praxistaugliche Abwandlungen von Babbages Entwurf auf den Markt kamen. Die analytische Maschine jedoch war, als hätten jene Fettsäuren versucht, sich spontan zu einem Seeigel zu organisieren. Die Idee war gut, aber die nötigen Voraussetzungen waren noch nicht gegeben.
Wir alle leben in unserer eigenen kleinen Version des Nächstmöglichen. In der Arbeit, bei unseren Hobbys, in den Communitys,in denen wir uns bewegen – überall um uns herum wimmelt es von potenziellen Neukonfigurationen, von neuen Wegen, aus den Standardroutinen auszubrechen. Jeder ist sozusagen ständig umgeben von Toyota 4Runner-Eratzteilen, die nur darauf warten, zu etwas Wundervollem, Neuem rekombiniert zu werden. Es muss nicht gleich etwas so Grandioses sein, wie die Evolution es hervorgebracht hat, und auch kein Quantensprung in der Computertechnik. Eine neue Tür aufzustoßen, kann zu einem wissenschaftlichen Durchbruch führen, der bald darauf die Welt verändert. Es kann aber auch eine effektivere Unterrichtsstrategie für Ihre Arbeit als Lehrer dabei herauskommen oder eine neue Marketingidee für den Staubsauger, den Ihre Firma demnächst auf den Markt bringen will. Der Trick besteht darin, die momentan gegebenen Möglichkeiten auszuloten. Es kann schon reichen, Ihre physische Arbeitsumgebung zu verändern, Ihr soziales Netzwerk zu kultivieren oder Ihre Informationen besser zu managen.
Wiederholen wir noch einmal die Ausgangsfrage: Wie sieht eine Umgebung aus, in der gute Ideen gedeihen? Die einfachste Art, sich der Antwort zu nähern, lautet: Innovative Umgebungen unterstützen ihre Bewohner darin, das Nächstmögliche zu erkunden. Sie halten einen reichhaltigen Vorrat an Ersatzteilen bereit, seien sie technischer oder konzeptioneller Art, und sie inspirieren dazu, diese Ersatzteile neu zu kombinieren. Umgebungen, die Neukombinationen verhindern oder einschränken – weil sie Experimentieren bestrafen, neue Möglichkeiten verschleiern oder alles dort so angenehm ist, dass niemand auf die Idee kommt, etwas zu verändern – werden im Schnitt weniger Innovationen hervorbringen als Umgebungen, die das Ausloten von Grenzen unterstützen. Die unendliche Vielfalt an Leben, die Darwin in den warmen Gewässern der Kokosinseln so beeindruckte, konntesich entwickeln, weil Korallenriffe wahre Meister darin sind, die vorhandenen Ersatzteile zu recyceln und neu zu kombinieren.
Es gibt eine berühmte Episode in der Geschichte der Beinahe-Katastrophe von Apollo 13, wundervoll auf die Leinwand gebracht in Ron Howards gleichnamigem Film: Die Techniker in Houston merken, dass die Besatzung der Landekapsel dringend einen improvisierten Kohlendioxidfilter braucht, um nicht in der mit CO 2 übersättigten Atmosphäre zu ersticken, bevor sie die Erde erreicht. Sie haben zwar jede Menge Filter an Bord, aber die sind für die durch einen Unfall unbrauchbar gewordene Kommandokapsel gedacht und nicht mit der Landekapsel kompatibel, in der die Astronauten notlanden. Also stellt man eilig ein sogenanntes »tiger team« aus Technikern zusammen, die das Problem lösen sollen. Eine Blitz-Bestandsaufnahme der für die Aufgabe an Bord der Kapsel zur Verfügung stehenden Ausrüstungsteile wird gemacht. Im Film wirft der Einsatzleiter, gespielt von Deke Slayton, einen Haufen verschiedenster Gegenstände auf den Tisch des Besprechungsraums: Schläuche, Blechbüchsen, Reisetaschen, Klebeband und anderes Zeug. Dann nimmt er eine eckige CO 2 -Filterkartusche zur Hand und sagt: »Wir müssen einen Weg finden, diesen Filter in ein rundes Loch zu bekommen.« Er deutet auf die auf dem Tisch verteilten Gegenstände. »Und zwar mit diesen Dingen.«
Die Gegenstände auf dem Tisch definieren die
Weitere Kostenlose Bücher