Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
Grenzen des Nächstmöglichen für die Aufgabe, an Bord der Mondlandekapsel einen funktionierenden Kohlendioxidfilter zu bauen. Das Gerät, das die Techniker schließlich zusammenimprovisieren, funktioniert perfekt. Die Gegenstände, die sie dazu benutzen, sind das Pendant zu den Ammoniak- und Methanmolekülen in der Ursuppe oder den Autoscheinwerfern, die den
NeoNurture
beheizen: Sie sind die Bausteine, die den Möglichkeitsraum zur Lösung eines Problems zugleich erschaffen und begrenzen. In gewisser Weise machte esdas den Technikern in Houston sogar leichter, denn kniffelige Probleme zeichnen sich normalerweise nicht dadurch aus, dass sie den Raum des Nächstmöglichen so klar und einfach definieren.
Um eine gute Idee zu haben, müssen wir wissen, welche
neuen
Bausteine zur Verfügung stehen, sonst könnte es passieren, dass wir nur das Alte recyceln. Und hier kommen die nächsten sechs Muster der Innovation ins Spiel, denn sie alle haben damit zu tun, wie sich eine möglichst reichhaltige Sammlung an Ideenbausteinen zusammenstellen lässt – ein Fundus von Einzelteilen also, die sich zu nützlichen Neukonfigurationen zusammenfügen lassen. Die Kunst, auf eine gute Idee zu kommen, besteht nicht darin, in hehrer Einsamkeit vor sich hin zu brüten und zu versuchen, sich etwas möglichst Bahnbrechendes einfallen zu lassen. Die Kunst besteht darin, mehr Bausteine auf dem Tisch liegen zu haben.
II.
FLÜSSIGE NETZWERKE
In unserer Alltagssprache finden sich zahllose Metaphern für gute Ideen: Wir nennen sie Geistesblitz, spontane Eingebung, Erleuchtung; wir erzielen gedankliche Durchbrüche, haben Anfälle von Genialität, Heureka-Momente und Offenbarungen. Etwas an unserer Vorstellung von guten Ideen lässt die Sprache Kapriolen schlagen, und wir versuchen, das sensationell Neue auch in den Worten widerzuspiegeln, mit denen wir es beschreiben.
Und trotzdem gibt keines dieser schillernden Bilder das wieder, was eine Idee im Grunde genommen ist: Eine gute Idee ist ein Netzwerk. Wenn bestimmte Nervenzellen in unserem Gehirn zum ersten Mal gleichzeitig feuern, tritt eine Idee in unser Bewusstsein. Sie ist ein Netzwerk von Zellen, die das Nächstmögliche an Verknüpfungen erforschen, die wir in unserem Geist herstellen können. Dabei ist es egal, ob es sich bei der betreffenden Idee um die Lösung für ein physikalisches Problem handelt, um einen Schlusssatz für einen Roman oder um ein bestimmtes Feature für eine Software-Applikation. Wenn wir das Geheimnis lüften wollen, wie Ideen entstehen, müssen wir uns zunächst von einem althergebrachten Missverständnis befreien: Eine Idee ist nichts Singuläres. Sie ist eher so etwas wie ein Schwarm.
Wenn wir uns Ideen in ihrer »natürlichen Umgebung«, nämlich einem Netzwerk aus Nervenzellen, vorstellen, leuchten zwei Grundbedingungen unmittelbar ein. Erstens: Das Netzwerk ist riesig, und für einen Geistesblitz wird es kaum genügen, wenn nur drei Neuronen feuern. Also muss das Netzwerk gut verschaltet sein. Unser Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen. Das ist eine beeindruckende Zahl, aber all diese Neuronen würden nicht eine einzige Idee hervorbringen (und auch keine der anderen Leistungen des menschlichen Gehirns), wenn sie nicht auf so ausgeklügelte Weise miteinander in Verbindung treten könnten. Im Schnitt steht jede Nervenzelle im Gehirn mit etwa eintausend anderen in Verbindung. Das bedeutet: Im Gehirn eines Erwachsenen gibt es etwa 100 Billionen Nervenverbindungen, was das menschliche Gehirn zum komplexesten Netzwerk auf Erden macht. Nur zum Vergleich: Das World Wide Web hat ungefähr 40 Milliarden Seiten. Wenn wir von durchschnittlich zehn Links auf jeder dieser Seiten ausgehen, folgt daraus, dass Sie und ich mit einem Netzwerk im Kopf herumlaufen, das um mehrere Zehnerpotenzen größer ist als das gesamte World Wide Web.
Die zweite Grundbedingung lautet, dass das Netzwerk veränderbar sein muss. Es muss in der Lage, sich neu zu verschalten. Ein Netzwerk – so dicht es auch sein mag –, das keine neuen Muster bilden kann, ist nicht in der Lage, sich zu verändern, und kann somit auch nicht die Grenzen des Nächstmöglichen erforschen. Wenn wir eine Idee haben, spüren wir die Magie des Neuen, und dazu gibt es ein direktes Pendant in unseren Gehirnzellen, denn dort hat sich soeben eine brandneue Verschaltung von Neuronen gebildet, die diese Idee ermöglicht hat. Die neuronalen Verschaltungen werden anfänglich von unseren Genen gebildet und
Weitere Kostenlose Bücher