Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
O-Molekül über einige außergewöhnliche Eigenschaften, die flüssiges Wasser zu einem idealen Medium für den Beginn des Lebens machen. Die Wasserstoffbrücken, die sich zwischen Wassermolekülen bilden, sind in etwa zehnmal fester als vergleichbare Verbindungen in »normalen« Flüssigkeiten. Das ist deshalb so wichtig, weil dadurch die Temperaturspanne, in der Wasser flüssig bleibt, weit größer ist als bei so gut wie allen anderen Substanzen. Anderenfalls wären die Ozeane noch während der Entstehung des Lebens auf der Erde verdampft. Wasser ist außerdem ein unglaublich gutes Lösungsmittel. Mit ausreichend Zeit löst sich in Meerwasser selbst das chemisch äußerst reaktionsträge Gold. Diese beiden Faktoren in Kombination machen Wasser zum perfekten Katalysator bei derBildung neuer Elementverbindungen: Sie brauchen nichts weiter zu tun als durch das sich ständig in Bewegung befindende Medium zu schwappen und zufällig miteinander zu kollidieren. Haben sich neue Verbindungen gebildet, sorgt die Festigkeit der Wasserstoffbrücken dafür, dass einigermaßen stabile Neukombinationen (viele davon um Kohlenstoffatome angeordnet) auch stabil bleiben und noch weitere Verbindungen eingehen können.
Wenn wir also zurückblicken auf die Zeit, zu der die Innovationsmaschine Erde ihre schöpferische Arbeit aufnahm, fallen uns zwei essenzielle Eigenschaften auf: Erstens die Fähigkeit, mit so vielen Elementen wie möglich neue Verbindungen einzugehen. Zweitens eine Umgebung, die zufällige Begegnungen zwischen allen im System vorhandenen Elementen ermöglicht. Somit begann zumindest auf der Erde die Geschichte der Kreativität des Lebens mit einem flüssigen Netzwerk von hoher Dichte: Verbindungshungrige Kohlenstoffatome prallten in der Ursuppe mit anderen Elementen zusammen, und mit den so gebildeten Molekülen kam neben Physik und Chemie auch die Biologie ins Spiel. Als die ersten Fettsäuren sich spontan zusammenfügten, stießen sie die Tür zu einem Weg auf, der schließlich zur Bildung der Zellmembran führte, und als sich die ersten Nukleotide bildeten, öffnete sich ein ganzer Flügel an Räumen des Nächstmöglichen, an deren (vorläufigem) Ende die Entstehung der DNA stand. Das war das erste Aufflackern jener guten Idee, die wir »Leben« nennen.
Dem Informatiker Christopher Langton fiel schon vor mehreren Jahrzehnten auf, dass innovative Systeme eine gewisse Neigung zum Chaos haben, zu jenem fruchtbaren Grenzgebiet zwischen zu viel Ordnung und zu viel Anarchie, das auch im Zentrum von Stuart Kauffmans Konzept des Nächstmöglichen steht. Langton beschreibt die unterschiedlichen Stadien eines Netzwerks mit Metaphernaus der Chemie, und zwar mit den verschiedenen Aggregatzuständen gasförmig, flüssig und fest. Stellen wir uns das Verhalten von Molekülen in jedem dieser drei Stadien vor. Im gasförmigen Zustand regiert das Chaos. Neukonfigurationen sind zwar möglich, aber sie werden von ihrem sprunghaften Umfeld ständig wieder auseinandergerissen. Im festen Zustand geschieht das genaue Gegenteil: Die gebildeten Strukturen bleiben stabil, können sich aber auch nicht mehr verändern. Ein flüssiges Netzwerk ist die weit günstigere Umgebung, denn in ihr kann ein System das Nächstmögliche erforschen. Durch zufällige Kollisionen können sich neue Molekülverbindungen bilden, gleichzeitig ist das System stabil genug, um die Neuschöpfungen nicht sofort wieder zu zerstören. Genau das war in der Ursuppe der Fall, und die Kohlenstoffatome konnten ein hoch verdichtetes, flüssiges Netzwerk bilden. Die 100 Milliarden Nervenzellen in unserem Gehirn bilden ebenfalls ein flüssiges Netzwerk. Es ist weit verzweigt und verschaltet und ständig damit beschäftigt, neue Muster zu erproben. Dennoch ist es in der Lage, nützliche Strukturen zu bewahren, und das über lange Zeiträume.
Es liegt eine Prophezeiung (wenn auch eine rückwirkende) in dem oben entwickelten Konzept eines flüssigen Netzwerks. Sie lautet: Sobald Menschen feste Ansiedlungen bildeten, die flüssigen Netzwerken ähnelten, musste eine wahre Innovationsflut folgen. Ganze Zeitalter hatte der Mensch in dem kulturellen Äquivalent eines gasförmigen Netzwerks gelebt. In kleinen Horden von Jägern und Sammlern war er so gut wie ohne Kontakt zu anderen Gruppen umhergestreift. Das Aufkommen des Ackerbaus hat die Rahmenbedingungen jedoch grundlegend verändert. Zum ersten Mal konnten Menschen sich zu Gruppen von mehreren Tausend zusammenschließen. Nach
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