Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
vielen Tausend Jahren im kleinen Kreis der erweiterten Familie fing der Mensch an, seinen unmittelbarenLebensraum mit Fremden zu teilen, mit ziemlich vielen Fremden sogar. Aufgrund dieses Anstiegs in der Populationsdichte stieg auch die Zahl der möglichen Verbindungen innerhalb der Gruppe enorm. Gute Ideen sprangen viel schneller über und verbreiteten sich. Neue Formen der Zusammenarbeit wurden möglich. Ökonomen haben einen Ausdruck dafür, was in dicht bevölkerten Umgebungen geschieht, sie nennen den Effekt »Informations-Spillover«: Wenn man mit Tausenden von Menschen in einer Bürgerkultur zusammenlebt, fließen gute Ideen automatisch von Individuum zu Individuum, selbst wenn der Schöpfer der Idee versucht, sie geheim zu halten. Ein Übertragungseffekt also. »Spillover« ist ein herrliches Wort dafür, denn es beinhaltet die Qualität des Flüssigen, die das in dicht besiedelten Gebieten vorhandene Wissen auszeichnet. Als Spezies hat sich der Homo sapiens im Lauf der etwa eine Million Jahre gut geschlagen, die es dauerte, bis er den Ackerbau entwickelte. Er hatte die Sprache erfunden, Kunst, hoch entwickelte Jagdwaffen, und er konnte kochen. Was er vor der Sesshaftwerdung noch nicht entwickelt hatte, war eine Strategie für das Leben in einem hoch verdichteten flüssigen Netzwerk.
Was also geschah, als genau dieser Fall eintrat? Um das Ausmaß der Veränderung zu begreifen, müssen wir sie in Relation setzen zu der Innovationsgeschwindigkeit in der Zeit vor der Entstehung der ersten Städte. Schrumpfen wir also siebzigtausend Jahre Innovationsgeschichte auf einen kleinen Zeitstrahl zusammen und lassen ihn circa 2000 v. Chr. enden, ein paar Jahrtausende nach Gründung der ersten Städte.
Blickt man aus dieser Perspektive auf die Vergangenheit, wird eines klar: Zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des ersten Jahrtausends nach Entstehung der ersten Städte erfand der Mensch eine völlig neue Art des Erfindens. Es besteht ein augenfälliger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Aufkommen dicht bevölkerterSiedlungen und dem dramatischen Anstieg der Innovationsrate. Aber ist dieser Zusammenhang auch kausaler Natur? Die Tabelle allein kann uns das nicht sagen, und über die Entstehungsgeschichten der jeweiligen Innovationen wissen wir zu wenig, um belegen zu können, dass der urbane Kontext eine entscheidende Rolle gespielt hätte. Aber die Indizien deuten stark darauf hin.
Zweifellos hat der Mensch schon als Jäger und Sammler herausgefunden, dass sich aus Asche, vermischt mit Tierfett, Seife herstellen lässt. Bestimmt hat er schon lange vor Entstehung der ersten Städte von Aquädukten geträumt. Nur haben wir keine Aufzeichnungen von derartigen Geistesblitzen, und das ist genau der Punkt: In einem chaotischen Netzwerk von geringer Dichte kommen und gehen Ideen einfach. Im dichten Netzwerk der ersten Städte verbreiten sich gute Ideen von ganz allein. Sie springen über, und durch dieses Überspringen bleiben sie zukünftigen Generationen erhalten. Aus Gründen, die wir noch sehen werden, fördern hoch verdichtete flüssige Netzwerke Innovationen nicht nur, sie übernehmen auch die ungemein wichtige Funktion, diese Innovationen zu bewahren. Bevor die Schrift erfunden wurde, vor den ersten Büchern und vor Wikipedia waren Städte als flüssige Netzwerke der Hort, in dem das Wissen der Menschheit für die Zukunft konserviert wurde.
Dasselbe Muster wiederholte sich in einer wahren Explosion von Innovationen in Handel und Kunst, die in den dicht besiedelten norditalienischen Städten, der Geburtsstätte der Renaissance, stattfand. Einmal mehr löste die Bildung städtischer Netzwerke einen dramatischen Anstieg im Fluss guter Ideen aus. Es ist kein Zufall, dass Norditalien während des 14. und 15. Jahrhunderts die am stärksten urbanisierte Region in ganz Europa war. Doch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen dem Innovationsfluss derRenaissance und dem in den ersten Städten: Michelangelo, Brunelleschi und da Vinci kamen aus einer Kultur, deren Gebrechen die zu starre Ordnung war. Wenn wir eine Kultur vereinzelter, umherziehender Stämme von Jägern und Sammlern mit dem Chaotischen des gasförmigen Zustands gleichsetzen, entspricht eine Kultur, in der Information fast ausschließlich von Schreibern in Klöstern weitergegeben wird, dem anderen Extrem. Ein Kloster ist etwas Festes. Indem sie diese festen Bahnen aufbrachen und einen freieren Ideenaustausch unter einem größeren Anteil der Bevölkerung
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