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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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Verbindungen und gewinnen an Kraft, bis sie sich eines Tages zu etwas Greifbarem transformieren. Manchmal kommt der Anstoß durch neu entdeckte Informationen, manchmal durch die Ahnung, die ein anderer mit sich herumträgt, und manchmal ist es eine eigene Assoziation, die den Gedanken schließlich vervollständigt.
    Weil diese langsamen Ahnungen so viel Zeit brauchen, um sich zu entwickeln, sind sie so empfindlich und gehen leicht im Alltag unter. Auf der anderen Seite liegt in der langen Inkubationszeit auch ihre Stärke, denn eine wirklich neue Erkenntnis bedeutet, auf einen Gedanken zu kommen, den in dieser Form noch keiner zuvor gehabt hat. Ein spontanes Urteil ist – wie der Name schonsagt – ein Urteil. Ist diese Skulptur eine Fälschung? Was zieht der Kerl da hinten aus seiner Tasche? Eine neue Idee ist mehr als das: Sie ist ein neuer Lösungsansatz für ein Problem, oder man erkennt eine neue Möglichkeit, die bisher außer Acht gelassen wurde, und derartige Durchbrüche brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Im 18. Jahrhundert stülpte der englische Gelehrte Joseph Priestley ein Glas über einen Minzsprössling, um ihn von der umgebenden Luft zu isolieren, und am Ende des Experiments stand der Beweis, dass Pflanzen Sauerstoff produzieren, was eine der wichtigsten Entdeckungen der modernen Biologie ist. Die Idee zu dem Experiment ging auf eine Ahnung zurück, die Priestley seit zwanzig Jahren mit sich herumtrug und die bis in seine Kindertage zurückreichte, als er dasselbe mit Spinnen machte. Priestley hatte herausgefunden, dass Organismen zugrunde gehen, wenn man sie unter Luftabschluss hält – ein faszinierendes Phänomen, das auf eine größere, dahinterliegende Erkenntnis hindeutete. Priestley hielt diese Ahnung am Leben, bis er so weit war, sie tiefer zu ergründen. Dabei forschte er keineswegs nur stur in eine Richtung. Die zwanzig Jahre vor seinem Experiment versuchte Priestley sich in einem Dutzend verschiedener Disziplinen, führte in seinem häuslichen Labor Hunderte anderer Experimente durch und tauschte sich in Gesprächen mit den führenden Intellektuellen seiner Zeit aus. Der Frage nach der Pflanzenatmung widmete Priestley dabei recht wenig Zeit, behielt sie aber im Hinterkopf. Eine langsame Ahnung am Leben zu erhalten, bedeutet weniger schweißtreibende Arbeit, als sie ganz allmählich zu kultivieren: Man gebe der Ahnung Nahrung zum Wachsen und pflanze sie in fruchtbaren Boden, wo sie Wurzeln schlagen und neue Verbindungen knüpfen kann. Dann gebe man ihr Zeit, zu erblühen.
    Durch den rosafarbenen Schleier der Erinnerung betrachtet, werden solche langsamen Ahnungen leicht zu Heureka-Momenten.Erfinder, Wissenschaftler, Unternehmer, Künstler – sie alle stellen ihre Durchbrüche in der Rückschau gerne als eine Art Erleuchtung dar. Das liegt unter anderem daran, dass Geschichten von plötzlichen Geistesblitzen eine spannende Erzählung abgeben. Wie sich eine langsame Ahnung gemächlich im Hintergrund entwickelt, ist weit schwieriger in packende Worte zu fassen. Sieht man sich die geistesgeschichtliche Entwicklung jedoch genauer an, stellt sich heraus: Die langsame Ahnung ist die Regel, nicht die Ausnahme.
    In einer berühmten Passage seiner Autobiografie beschreibt Darwin den großen Moment, in dem er als junger Mann zu seiner entscheidenden Einsicht über die Evolution gelangte:
    »Im Oktober 1838, das heißt, fünfzehn Monate nachdem ich meine systematischen Forschungen begonnen hatte, las ich zur Zerstreuung und eher aus Zufall in Malthus‘ Essay on the Principle of Population. Meine ausgedehnten Beobachtungen der Tier- und Pflanzenwelt hatten mich bestens auf das dort behandelte Thema des allerorten tobenden Überlebenskampfes vorbereitet, und es fiel mir sofort ins Auge, dass besser angepasste Varietäten unter solchen Umständen eher überleben würden als schlecht angepasste, was im Ergebnis zur Herausbildung neuer Arten führen würde. Endlich hatte ich eine brauchbare Theorie, mit der ich arbeiten konnte.«
    Diese Schilderung ist das evolutionsgeschichtliche Äquivalent zu Newtons Apfel: Malthus fällt vom Baum und trifft Darwin am Kopf, und schon ist die Theorie der natürlichen Selektion geboren. Diese Heureka-Geschichte passt außerdem sehr schön zu der schlichten Eleganz der Evolutionstheorie selbst. Ganz anders als bei komplizierten technischen Erfindungen scheint es nur angemessen, wenn Darwin das Grundprinzip der Evolution in einem Moment der Erleuchtung einfach so ins

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