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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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glaubte, die Al Kaida verfolge einen Langzeitplan mit der Absicht, weltweit Fluggesellschaften zu infiltrieren. Die Möglichkeit brutaler Flugzeugentführungen, wie sie sich zwei Monate später zutrugen, kam ihm nicht in den Sinn.
    Doch mit seinen Empfehlungen an das Hauptquartier lag er genau richtig: Williams‘ Vorschlag war, eine vollständige Liste aller Flugschulen und anderer Luftfahrtausbildungszentren in den USA anzulegen und jede Person, die versuchte, für den Besuch einer solchen Schule ein Visum zu bekommen, erkennungsdienstlich zu behandeln.
    Obwohl er das Memo an die Büros mehrerer hochrangiger Mitarbeiter geschickt hatte, darunter auch das von David Frasca, Leiter der Radical Fundamentalist Unit in Washington, verschwand es zunächst in einem »schwarzen Loch«, wie der Vorgangbei der späteren Untersuchung genannt werden sollte. Beinahe drei Wochen lang passierte gar nichts, bis das Memo schließlich einem Nachrichtendienstanalysten zur Bewertung vorgelegt wurde. Der Analyst klassifizierte den Inhalt als »Routine« statt »dringend«. Ein anderer New Yorker Mitarbeiter nannte das Memo »spekulativ und von eher geringem Interesse«. Obwohl es eigentlich Standard war, dass Analysten Berichte dieser Art an ihre Vorgesetzten weiterleiteten, erreichte das Memo nie Frascas Schreibtisch.
    Als 2002 erstmals Einzelheiten über das Memo durchsickerten, taten Geheimdienstmitarbeiter und Gesetzeshüter Williams‘ Warnung als bloße Ahnung ab. »Das Hauptquartier erhielt eine Empfehlung, ein Programm zur Überwachung von Flugschulen einzurichten«, sagte FBI-Direktor Robert Mueller später aus. »Sie war bis zum 11. September nicht umgesetzt worden. Ich möchte anfügen, dass wir nach allem, was wir seither in Erfahrung gebracht haben, die Anschläge vom 11. September nicht hätten verhindern können.«
    Beide Aussagen über das Phoenix-Memo sind nachweislich wahr. Williams hatte lediglich eine vage Ahnung über einen möglichen Zusammenhang zwischen terroristischen Vereinigungen und Flugschulen, und diese Ahnung allein hätte nicht gereicht, die Anschläge zu verhindern. Diese Ahnung jedoch vollkommen von der Hand zu weisen, ging an der Sache vorbei. Williams hatte Informationen, die ihn auf eine genauso gewagte wie überraschende Idee brachten. Die Idee mag zu diesem Zeitpunkt noch unvollständig gewesen sein, aber hätte man sie mit einer weiteren Vorahnung in Verbindung gebracht, die andere drei Wochen später rund 500 Meilen entfernt hatten, hätte das Phoenix-Memo durchaus den Verlauf der Geschichte des frühen 21. Jahrhunderts verändern können.
    Man kann eine Menge über Innovation lernen, wenn man sich den Werdegang genialer Ideen, die die Welt verändert haben, genauer ansieht. Bei den meisten Ideengeschichten handelt es sich um Erzählungen von geistigen Durchbrüchen, spontanen Eingebungen und Heureka-Momenten, die grundlegende gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt haben. Weil diese Ideen aber schon erfolgreich waren, ist es allzu verlockend, den Erfolg immanenten Gründen zuzuschreiben, beispielsweise der Genialität der Idee oder des hellen Kopfes, der sie in die Welt setzte. Aber diese immanenten Gründe verstellen leicht den Blick auf die Rolle, die die Umgebung bei der Entstehung und Verbreitung dieser Ideen gespielt hat. Deshalb ist es genauso lohnend, sich auch die Fehlschläge anzusehen: jene Ideen, die es zwar bis in aussichtsreiche Regionen des Nächstmöglichen geschafft haben, dort aber hängen geblieben sind. Das Phoenix-Memo ist einer von diesen Fehlschlägen. Sein Inhalt war klug und vorausschauend. Niemand war im Juli des Jahres 2001 so nahe an der Wahrheit wie Ken Williams, außer die Terroristen selbst, und dennoch waren Williams‘ Informationen letztendlich nutzlos. Weshalb?
    Die simple Antwort lautet: weil niemand Williams‘ Empfehlungen umgesetzt hat. Das lag zum einen daran, dass der Inhalt des Memos den zwischengeschalteten FBI-Analysten nicht wichtig genug erschien, und zum anderen am Versagen der FBI-internen Kommunikation, aufgrund dessen das Memo nie die Bosse der Terrorismusbekämpfung bei der RFU erreichte. Doch selbst wenn David Frasca es noch im Juli gelesen hätte und zu der Überzeugung gelangt wäre, dass etwas dran war an Williams‘ Vorschlägen, hätten sich die Anschläge vom 11. September mit größter Sicherheit nicht verhindern lassen, weil es Monate gedauert hätte, alle Visaanträge mit den landesweiten Einschreibungen an Flugschulen

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