Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
führen, zu jener Zeit genannt wurde, bestand hauptsächlich darin, interessante oder inspirierende Textpassagen, die man gerade gelesen hatte, abzuschreiben und auf diese Weise eine Art persönliche Enzyklopädie von Zitaten anzulegen. Zeitgenossen schätzten vor allem die Selbsthilfe-Qualitäten eines solchen Kollektaneenbuchs. Es bot die Möglichkeit, »einen Wissensfundus anzulegen, aus dem wir zu jeder Zeit auswählen können, was fürdie verschiedenen Aufgaben des Lebens gerade nützlich erscheint.« John Locke begann seines 1652 während seines ersten Studienjahrs in Oxford. Im Lauf der folgenden zehn Jahre entwickelte er ein ausgeklügeltes System zur Indizierung, das er immer weiter verfeinerte. Locke erschien seine Methode so wichtig, dass er sie sogar in sein Standardwerk
Ein Versuch über den menschlichen Verstand
aufnahm. Lockes Beschreibung mag etwas komisch wirken in ihrer Detailliertheit, aber es ist auch nicht einfach, auf nur zwei Seiten einen brauchbaren Index zu erstellen, der mit wachsendem Inhalt des Buchs beliebig erweitert werden kann:
»Wann immer ich auf etwas stoße, das mir für mein Kollektaneenbuch passend erscheint, überlege ich mir zunächst eine geeignete Überschrift. Nehmen wir einmal an, die Überschrift lautet EPISTOLA. Im Index schlage ich sodann den Anfangsbuchstaben und den darauf folgenden Vokal nach, was in diesem Beispiel E und i sind. Steht dort schon eine Seitenzahl, welche für Wörter, die mit E beginnen und deren erster Vokal nach dem Anfangsbuchstaben ein I ist, schlage ich sie auf und schreibe auf dieser Seite unter dem Wort ›Epistola‹ nieder, was immer ich zu vermerken habe.«
Ein Jahrhundert später hatte Lockes Methode so weite Verbreitung gefunden, dass ein findiger Verleger namens John Bell ein Notizbuch mit dem Titel »Bells Kollektaneenbuch, gestaltet nach den von Mr. Locke entwickelten und praktizierten Prinzipien« herausbrachte. Darin enthalten war eine achtseitige Anleitung zu Lockes Indizierungsmethode, die dem höheren Zweck diente, »rückbezügliches Denken zu ermöglichen«. Bells Ausgabe diente als Grundlage für eines der berühmtesten Kollektaneenbücher des späten 18. Jahrhunderts, von 1776 bis 1787 geführt von Charles Darwins Großvater Erasmus. Gegen Ende seines Lebens begannCharles die Biografie seines Großvaters zu schreiben, weshalb er sich von seinem Cousin Reginald jenes »großartige Buch« verschaffte, wie Darwin es nannte. In der Biografie weist er ausdrücklich auf die unglaubliche Reichhaltigkeit von Erasmus‘ Notizbuch hin: »Es finden sich Entwürfe und Zeichnungen für eine verbesserte Laterne; für Kerzenhalter mit Teleskopständern, die sich auf jede beliebige Höhe einstellen lassen; für einen Vervielfältiger; für einen Strickstuhl für Strümpfe; für eine Waage; für ein Vermessungsgerät; für einen fliegenden Vogel mit einem trefflichen Mechanismus, um die Flügel zu bewegen, und zur Erzeugung der Antriebskraft schlägt Erasmus Schwarzpulver oder komprimierte Luft vor.«
Das Kollektaneenbuch schlägt eine Brücke zwischen Ordnung und Chaos, zwischen dem Wunsch nach methodischer Ordnung und dem nach überraschenden neuen Verbindungen und Assoziationen. Für manche seiner Verfechter aus der Zeit der Aufklärung wurde das Indizierungssystem des Kollektaneenbuchs zur Metapher für das Bestreben, den eigenen Geist zu vervollkommnen. So schrieb der Kirchenabweichler John Mason im Jahr 1745:
»Man begnüge sich nicht damit, dieses Lagerhaus des menschlichen Geistes lediglich mit erhellenden Gedanken zu füllen, sondern ordne sie nach Themen und Klassen. Auf dass man zu jeder Gelegenheit, die sich bietet, über ein beliebiges Thema nachzudenken oder zu disputieren, sofort auf jene erhellenden Gedanken zurückgreifen könne, die man zuvor zu selbigem Thema dort niedergeschrieben hat. Auf dass allein die Erwähnung des Themas einem den Gedanken eingebe und man solchermaßen das Kollektaneenbuch stets im Gedächtnis bei sich trage.«
Andere, darunter Priestley und Charles Darwin sowie dessen Großvater Erasmus, machten ihre Kollektaneenbücher zu umfangreichenSammlungen von Ahnungen. Der Historiker Robert Darnton beschreibt diese Doppelfunktion als Schreib- und Lesebuch wie folgt:
»Anders als bei heutigen Lesern, die ein Buch von vorne bis hinten komplett durchlesen, war es im England der frühen Moderne üblich, nur kapitelweise zu lesen und zwischen verschiedenen Büchern hin und her zu springen. Texte wurden in
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