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Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)

Titel: Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Johnson
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während des Schlafs neu geknüpften Verbindungen halfen den Probanden, die gesamte Bandbreite der Lösungsmöglichkeiten auszuloten, und sie entdeckten Muster, die ihnen während der eigentlichen Bearbeitung des Problems entgangen waren. Traumarbeit ist also eine chaotische, aber nichtsdestotrotz produktive Art, das Nächstmögliche zu erforschen.
    In gewisser Weise sind Träume die Ursuppe des Geistes: Sie sind das Medium, das die zufälligen Verknüpfungen ermöglicht, die zu neuen Erkenntnissen führen. Ahnungen sind wie die Kohlenstoffatome in der Ursuppe, die sich zu immer neuen Ketten und Ringen verbinden. Loewis Traum, der ihn zu dem Experiment mit den Froschherzen inspirierte, wird oft als Beispiel für eine spontane Eingebung angeführt – eine weitere Version von Newtons Apfel also, diesmal aus dem 20. Jahrhundert –, doch in Wahrheit hatte Loewi sich schon siebzehn Jahre lang mit der Frage beschäftigt, ob Neuronen auf chemischem Weg miteinander kommunizieren. Seine Eingebung ist also nur zum Teil auf die während des Schlafs zufällig geknüpften Verbindungen zurückzuführen. Der andereTeil rührt von der langsamen Ahnung, die er schon beinahe zwei Jahrzehnte lang im Hinterkopf hatte.
    Dieses Muster – eine langsame Ahnung, die sich durch einen Traum inspiriert zu einer Eingebung wandelt – findet sich auch in der vielleicht berühmtesten Traumanekdote der gesamten Wissenschaftsgeschichte. 1865 sank der deutsche Chemiker Friedrich August Kekulé vor dem Kaminfeuer seines Arbeitszimmers in Halbschlaf und sah im Spiel der Flammen die Schlange Uroboros, jenes Tier aus der griechischen Mythologie, das seinen eigenen Schwanz verschlingt. Kekulé hatte die letzten zehn Jahre damit verbracht, die Verbindungen kohlenstoffbasierter Moleküle zu erforschen. Als er im Traum die Schlange sah, begriff er plötzlich, wie die Molekularstruktur des Benzols beschaffen sein musste: Benzol war ein Ring aus Kohlenstoffatomen, umgeben von Wasserstoffatomen. Kekulés langsame Ahnung war die Grundvoraussetzung für seine Einsicht gewesen, aber um sie zu vervollständigen, war er auf eine denkbar unwahrscheinliche Verknüpfung angewiesen gewesen, und zwar zu einem Symbol aus der griechischen Mythologie.
    Kekulés Erkenntnis war ein wissenschaftlicher Durchbruch kolossalen Ausmaßes und führte zu einer wahren Revolution in der organischen Chemie. Sie eröffnete einen völlig neuen Blick auf die verblüffende Vielfalt von Ringen, Gittern und Ketten, die der bindungsfreudige Kohlenstoff bildet. Um die zahllosen Kohlenstoffverbindungen verstehen zu können, brauchte Kekulé die während eines Tagtraums zufällig im Gehirn geschaffenen Verbindungen, was wiederum der Wissenschaft half, zu verstehen, wie das Leben selbst seinen Anfang genommen hat.
    Auch das wache Gehirn kann durchaus etwas anfangen mit dem produktiven Chaos, das in unseren Träumen herrscht. Neuronen tauschen Informationen aus, indem sie Botenstoffe in die synaptischenSpalte entsenden, die sie verbinden. Aber sie kommunizieren auch über andere, indirekte Kanäle: Sie synchronisieren ihre Impulsfrequenz. Wir verstehen noch nicht ganz, weshalb, aber es kommt immer wieder vor, dass ganze Areale von Neuronen mit derselben Frequenz feuern. Stellen Sie sich eine Free-Jazz-Band vor, jedes Instrument spielt in einem anderen Takt und Tempo, und mit einem Mal stimmen alle gemeinsam einen Walzer im Dreiviertel-Takt an. In der Hirnforschung wird das Phänomen, wenn Millionen von Neuronen in perfektem Gleichklang feuern, Phase-Lock genannt. Aber unser Gehirn scheint auch das genaue Gegenteil zu brauchen: regelmäßig auftretende Perioden von absolutem Chaos, in dem die Neuronen alle durcheinander feuern. Zeichnet man diese Phasen mit einem EEG auf, ergibt sich ein Bild, das dem Lärm nicht unähnlich ist, der entsteht, wenn man aufs Geratewohl am Einstellknopf eines Mittelwellenradios dreht. Strukturierte, rhythmische Signale wechseln sich mit Rauschen und Hintergrundgeräuschen ab. Das Gehirn stellt seine Frequenz also auf »Rauschen«, und das mit Absicht.
    2007 machte sich der Hirnforscher Robert Thatcher von der University of South Florida daran, diesen Wechsel zwischen Phase-Lock und Rauschen bei Kindern zu untersuchen. Er fand heraus, dass die Rausch-Phasen durchschnittlich 55 Millisekunden lang dauerten, stellte aber auch statistisch signifikante Unterschiede fest. Manche Kinder blieben länger im Phase-Lock, bei anderen dauerten die Rausch-Phasen länger an. Als

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