Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
Nischen und Energiequellen zu erschließen – in der Evolution eine so große Rolle spielt. Dieser Tatsache trug auch Stuart Kauffman Rechnung, als er das Konzept des Nächstmöglichen erdachte. Es ist eine Art Grundgesetz des Lebens, sich immer wieder neue Wege des Fortbestehens zu suchen. Für jede neue Generation zwei unterschiedliche DNA-Sätze neu miteinander zu kombinieren, mag reichlich aufwendig sein, aber es sorgt für ebenso reiche Innovation. Was wir dadurch an Geschwindigkeit und Einfachheit verlieren, machen wir an Kreativität wieder wett.
Der Wasserfloh Daphnia lebt in Seen und Teichen. Eigentlich gehört Daphnia zur Gattung der Krebstiere, aber seine Winzigkeit und die zuckenden Bewegungen haben ihm den Spitznamen Floh eingebracht. Unter günstigen Lebensbedingungen pflanzt sich Daphnia ungeschlechtlich fort. Die Population besteht dann ausschließlich aus Weibchen, die identische Kopien von sich anfertigen. Diese Fortpflanzungsstrategie ist erstaunlich erfolgreich, und in warmen Sommermonaten ist Daphnia massenhaft in den Gewässern zu finden. Verschlechtern sich jedoch die Bedingungen, während Trockenperioden beispielsweise, zum Winteranfang oder durch andere negative Umwelteinflüsse, machen die Wasserflöhe eine erstaunliche Wandlung durch: Mit einem Mal werden auch Männchen geboren, und Daphnia fängt an, sich geschlechtlich fortzupflanzen. Zum einen entstehen durch diese Art der ReproduktionEier mit dickerer Schale, die den Winter besser überstehen. Zum anderen aber, so glauben Wissenschaftler, handelt es sich auch um eine Art biologischer Innovationsstrategie: Harte Zeiten erfordern neue Ideen, mit denen ein Organismus den neuen Herausforderungen begegnen kann. Solange die äußeren Bedingungen gut sind, genügt es vollkommen, sich ungeschlechtlich fortzupflanzen, und es gibt keinen Grund, etwas zu verändern. Neue DNA-Kombinationen auszuprobieren, wäre ein unnötiges Risiko. Werden die Bedingungen jedoch härter – sei es wegen knapper Ressourcen oder weil plötzlich Räuber oder Parasiten auftauchen –, ist es Zeit für Innovation, und Innovation lässt sich am leichtesten erreichen, indem man neue Verbindungen knüpft. In der Biologie wird dieses Wechseln zwischen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung Heterogamie genannt. Was uns sehr ungewöhnlich erscheint, ist bei einfachen Organismen wie Schleimpilzen, Algen und Blattläusen weit verbreitet. All diese Arten machen es genauso wie die Wasserflöhe: Sie pflanzen sich nur dann geschlechtlich fort und kombinieren ihre DNA mit der eines Partners, wenn harte Zeiten es erfordern. Das ist natürlich weitaus komplizierter als Klonen, doch die dadurch entstehenden Innovationen wiegen die Nachteile bei Weitem auf und helfen, die Gefahren zu vermeiden, die ungeschlechtliche Fortpflanzung mit sich bringt. Sieht das Leben sich gezwungen, etwas Neues zu entwickeln, versucht es zu kombinieren, statt sich abzuschotten.
Im Englischen gibt es ein wunderbares Wort für glückliche Zufälle und Neukombinationen: Serendipity (dt.: Serendipität). Erstmals geprägt wurde es in einem Brief des englischen Schriftstellers Horace Walpole aus dem Jahr 1754. Er entlehnte das Wort dem persischen Märchen Die drei Prinzen von Serendip. Durch Zufall und durch ihren Scharfsinn machten die drei Prinzen ständig neueEntdeckungen. Und zwar entdeckten sie Dinge, nach denen sie gar nicht gesucht hatten. Der zeitgenössische Autor John Barth beschreibt das Phänomen mit folgenden Worten: »Nach Serendip gelangt man nicht, indem man Kurs darauf setzt. Man läuft einfach aus und kommt unterwegs zufällig vom Weg ab.«
Mit Serendipität sind aber nicht nur glückliche Zufälle gemeint. Zufälle werden zu Glücksfällen, wenn sie etwas bedeuten. Wenn sie eine Ahnung vervollständigen oder eine Tür zum Nächstmöglichen öffnen, die man zuvor übersehen hatte. Browst ein Wissenschaftler aufs Geratewohl im Netz und stolpert über einen Artikel zur Gesundheitsreform, mag er das durchaus interessant und informativ finden – mit Serendipität hat es jedoch nur dann zu tun, wenn er dabei ein wichtiges Puzzleteil entdeckt, das ihm bisher gefehlt hat. Das bedeutet nicht, dass Wissenschaftler dem Phänomen der Serendipität nur in Fachtexten begegnen, ganz im Gegenteil. Serendipität tritt zumeist dann auf, wenn die Grenzen der jeweiligen Disziplin überschritten werden.
Denken wir nur an Kekulés Schlange und die organische Chemie. Kekulé hatte einen
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