Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
stimulierte Loewi mithilfe einer Elektrode den Vagusnerv, der zum parasympathischen System gehört, und das Herz begann prompt langsamer zu schlagen. Loewi nahm nun etwas von der Salzlösung, in der das langsamer schlagende Herz lag, und goss sie in den zweiten Behälter. Sofort wurde auch der Puls des zweiten Herzens gesenkt, und das, obwohl Loewi den Vagusnerv nicht elektrisch stimuliert hatte. Der Befehl, den Herzschlag zu verlangsamen, war also auf chemischem Weg durch die Salzlösung übertragen worden. Indem er einen anderen Anteil des Vagusnervs stimulierte, gelang es Loewi, den Puls der beiden Froschherzen auf die gleiche Weise wieder zu beschleunigen. Mittlerweile wissen wir, dass durch die elektrische Stimulation zwei ganz bestimmte Botenstoffe in die Synapsenflüssigkeit entsendet wurden: Acetylcholin, das den Herzschlag verlangsamt, und Adrenalin, das den Herzschlag beschleunigt.
Heutzutage ist Loewis geniales Experiment auch aus einem weiteren Grund berühmt, und zwar wegen der ungewöhnlichen Weise, wie Loewi auf die Idee dazu kam: in einem Traum. In zwei Träumen, genauer gesagt.
»In der Nacht zum Ostersonntag wachte ich auf, schaltete das Licht ein und notierte hastig ein paar Zeilen auf einen Zettel. Dann schlief ich wieder ein. Um sechs Uhr morgens fiel mir ein, dass ich während der Nacht etwas Wichtiges aufgeschrieben hatte, aber leider konnte ich mein Gekritzel nicht mehr entziffern. In der nächsten Nacht, um drei Uhr, kam die Idee wieder. Es war die Anordnung für ein Experiment, mit dem ich überprüfen konnte, ob meine Hypothese zur chemischen Übertragung, die ich siebzehn Jahre zuvor aufgestellt hatte, korrekt war. Ich stand sofort auf, ging ins Labor und führte das einfache Experiment an den Froschherzen genau so durch, wie es mir in der Nacht eingefallen war.«
Wenn wir von Inspiration hören, die den Betreffenden im Traum ereilt hat, denken wir normalerweise eher an Künstler, aber die Liste der wissenschaftlichen Durchbrüche, die in Träumen ihren Anfang nahmen, ist lang. Der russische Chemiker Dmitri Mendelejew schuf das Periodensystem, nachdem ihm in einem Traum die Idee gekommen war, die chemischen Elemente nach ihrem Atomgewicht anzuordnen. 1947 inspirierte ein Traum den australischen Physiologen und Nobelpreisträger John Carew Eccles zu seiner Theorie der synaptischen Hemmung, mit der sich erklären ließ, wie hintereinandergeschaltete Neuronen feuern können, ohne damit eine endlose Kaskade von Nervenimpulsen auszulösen. Interessanterweise ging Eccles zunächst von einer rein elektrischen Impulsweiterleitung aus, doch spätere Experimente zeigten, dass der Botenstoff γ-Aminobuttersäure (GABA) eine wichtige Rolle bei der synaptischen Hemmung spielt, weshalb Eccles sich Loewis Jahrzehnte zuvor experimentell bestätigter Meinung schließlich doch noch anschloss.
An der Rolle, die Träume bei wissenschaftlichen Entdeckungen spielen, ist nichts Mystisches. Über Träume gibt es noch viel zu forschen, aber wir wissen, dass während des REM-Schlafs bestimmte Gehirnzellen wie wild Acetylcholin ausschütten und ein wahres Gewitter von elektrischer Aktivität entfachen. Als Folge wird das Gehirn von Erinnerungen und Assoziationen überflutet, was die halluzinatorische Qualität von Träumen ausmacht. Die meisten dieser spontan geknüpften neuronalen Verbindungen bleiben ohne Folgen, aber dann und wann stolpert das träumende Gehirn über etwas, das dem wachen Bewusstsein entgangen ist. So gesehen lag Freud mit seinem Begriff der Traumarbeit nicht ganz richtig: Ein Traum enthüllt nicht eine unterdrückte Wahrheit, er
erforscht
und versucht,
neue
Wahrheiten zu finden, indem er mit neuen neuronalen Verbindungen experimentiert.
In jüngerer Zeit wurde in einem von dem deutschen Psychologen Ullrich Wagner geleiteten Experiment die Rolle nachgewiesen, die Traumzustände beim Lernen spielen können. Wagner gab Testpersonen die Aufgabe, achtstellige Zahlen durch die immer gleiche Rechenoperation umzuformen. Mit der Zeit ging ihnen die Aufgabe immer schneller von der Hand. Doch in der Umformung lag eine mathematische Regel verborgen, und sobald sie entdeckt war, wurden die Testpersonen noch schneller, ganz ähnlich wie bei einem Puzzle, das sich kurz vor Vollendung quasi selbst zusammensetzt. Wagner stellte fest, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der die Testpersonen diese Regel entdeckten, um das Doppelte anstieg, nachdem sie eine Nacht »über das Problem geschlafen« hatten. Die
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