Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
»Kriminalität und Kreativität (z. B. in den Künsten) sind auf lebendige Subkulturen angewiesen.« Schreibzirkel und Straßengangs scheinen zwar auf den ersten Blick herzlich wenig gemeinsam zu haben, doch beide sind entscheidend von den in Großstädten gedeihenden Subkulturen abhängig.
Dasselbe Muster trifft auf das Geschäftsleben in Großstädten zu. Wie Jane Jacobs in
The Death and Life of Great American Cities
schrieb: »Je größer eine Stadt, desto größer die Bandbreite an hergestellten Produkten und desto höher sowohl die Zahl als auch der prozentuale Anteil an Kleinherstellern.«
»In amerikanischen Kleinstädten und Vororten kann man Lebensmittel oft nur in großen Supermärkten kaufen, im Kino läuft meist nur das Standardprogramm, und es gibt nur wenige Theater. Für eine größere Bandbreite ist schlichtweg nicht genug Publikum vorhanden. Natürlich gibt es Einzelne oder kleine Gruppen, aber das reicht nicht. In Großstädten gibt es ebenfalls Supermärkte und Kinos mit Standardprogramm, aber zusätzlich findet man jede Menge Spezialitätengeschäfte, Kleinkunstkinos und -theater und dergleichen. All das existiert nebeneinander, der Nullachtfünfzehn-Durchschnitt neben dem Exotischen, das Große neben dem Kleinen. Nicht selten sind in besonders beliebten und lebendigen Stadtteilen die Kleinen sogar in der Überzahl.«
Sowohl Fischer als auch Jacobs weisen darauf hin, wie fruchtbar der Austausch zwischen den Subkulturen in dicht besiedelten Zentren ist. Wann immer Menschen sich in großen Gruppen zusammenfinden,lässt sich Spillover gar nicht vermeiden. Subkulturen und die vielen unterschiedlichen Unternehmen in Städten fördern Ideen, Interessen und Fähigkeiten, die automatisch auf die gesamte Gesellschaft übergreifen und dort andere Gruppierungen beeinflussen. In Fischers Worten: »Je größer die Stadt, desto wahrscheinlicher trifft man dort in bedeutsamer Anzahl und Geschlossenheit auf Drogenabhängige, Radikale, Intellektuelle, Liberale, Gesundheitsfanatiker usw., und umso höher die Wahrscheinlichkeit, mit der der ›normale‹ Kern der Gesellschaft an diesen Gruppierungen Anstoß nimmt und gleichzeitig von ihnen beeinflusst wird.«
Großstädte sind somit ein ideales Experimentierfeld für Exaptation. In ihnen gedeihen spezielle Fähigkeiten und Interessen, sie schaffen ein flüssiges Netzwerk, in dem Information aus den jeweiligen Subkulturen auf andere Gruppen übergreift. Dies ist einer der Gründe für die superlineare Skalierung, die sich in Großstädten im Bereich der Kreativität zeigt. Die kulturelle Vielfalt, die durch die Subkulturen entsteht, ist nicht nur deshalb so wertvoll, weil sie das Leben in der Großstadt interessanter macht. Ihr Wert liegt auch im immer wieder neuen und unvorhersehbaren Austausch zwischen den verschiedenen Gruppierungen. Eine Umgebung, in der verschiedenste Berufe und Berufungen aufeinandertreffen und sich überlappen, ist der ideale Nährboden für Exaptation.
Solche Umgebungen manifestieren sich nicht selten in öffentlichen Räumen, die der Soziologe Ray Oldenburg als »der dritte Ort« bezeichnet: eine Umgebung, die sich durch den regen Austausch, der in ihr möglich ist, deutlich von der Isolation zuhause oder im Büro unterscheidet. Unzählige Innovationen aus der Zeit der Aufklärung nahmen ihren Anfang in den englischen Kaffeehäusern des 18. Jahrhunderts, vom Bereich der Elektrizität über das Versicherungswesen bis hin zur parlamentarischen Demokratie. In der Berggasse 19 in Wien hielt Sigmund Freud jeden Mittwochabend seinenSalon ab, zu dem sich Ärzte, Philosophen sowie Wissenschaftler einfanden und dabei halfen, die Psychoanalyse aus der Wiege zu heben. Oder denken wir an die Rolle, die die Pariser Cafés für das Zeitalter der Moderne gespielt haben, den berühmten Homebrew Computer Club aus den 1970ern, wo ein bunt gemischter Haufen aus Hobby-Programmierern, Teenagern, Elektronikunternehmern und Universitätsmitarbeitern die Personal-Computer-Revolution in Gang setzte. Man ging dort hin, um sich mit Gleichgesinnten zu treffen, was zweifellos Gemeinschaft und Produktivität förderte, aber die Unterstützung in einer Gruppe sorgt nicht automatisch für mehr Kreativität. Das tun Begegnungen. Begegnungen, bei denen Vertreter aus verschiedensten Fachbereichen an einem physischen oder virtuellen Ort aufeinandertreffen. Das sind die Orte, an denen der Funke überspringt. Die 1920er Jahre waren kulturell so fruchtbar, weil
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