Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
eine lange Geschichte. Sie ist viel älter als die meisten Systeme, die wir normalerweise mit Innovationen assoziieren, und sie ist so reichhaltig, weil sie nicht auf menschliche Schöpfungen wie das Internet oder Großstädte beschränkt ist, sondern auch in der Natur vorkommt. Denn auch die Natur hat Wege gefunden, nützliche Innovationen zu übernehmen und zu erweitern. Korallenriffe werden auch die Städte des Meeres genannt, und Teil meiner Argumentation ist es, diese Metapher wörtlich zu nehmen: Das Ökosystem eines Riffs ist so innovativ in der Nutzung der nährstoffarmen Gewässer, weil es einige wichtige Merkmale mit unseren Städten gemeinsam hat. In der Sprache der Komplexitätstheorie könnte man diese Innovations- und Kreativitätsmuster auch als »selbstähnlich« bezeichnen: Auf jeder Größenebene – von Molekülen über Nervenzellen bis hin zu Pixeln und Gehsteigen – tauchen sie in beinahe identischer Form wieder auf. Egal, ob wir die Evolution des kohlenstoffbasierten Lebens betrachten oder die explosionsartige Verbreitung neuer Softwaretools im Netz, wir finden immer wieder dieselben Bausteine. Wenn es darum geht, Neues zu erschaffen, greift das Leben gerne auf altbewährte Muster zurück, und dabei spielt es keine Rolle, ob diese sich nun spontan herausbilden und selbst organisieren oder von Menschen erdacht und geformt sind.
Es mag seltsam erscheinen, über so grundverschiedene Ebenen zu sprechen, als wären sie untereinander austauschbar, doch machen wir solche Gedankensprünge zwischen Biologie und Kultur ständig, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Der Begriff »Wettbewerb«, der häufig mit Innovation assoziiert wird, spielt im Verhalten der Märkte eine genauso wichtige Rolle wie beim Kampf verschiedener Organismen um begrenzte Nährstoffe in einem Ökosystem. Wettbewerb ist nicht als Metapher gemeint, wenn wir damit den Kampf der Spermien um eine Eizelle beschreiben, denn die Bedeutung des Wortes ist umfassend (und vielleichtauch tief greifend) genug, um auf Spermien genauso zuzutreffen wie auf Unternehmen. Dasselbe Prinzip gilt für die sieben Muster, die ich in diesem Buch vorstellen werde.
All diese verschiedenen Umgebungen und Größenebenen miteinzubeziehen, ist mehr als nur intellektueller Zeitvertreib. Die Wissenschaft hat längst erkannt, dass wir Dinge besser verstehen, wenn wir ihr Verhalten aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Wenn wir die Frage beantworten wollen, warum das Internet so innovativ ist, wirft das automatisch andere Fragen auf: nach seinen Erschaffern, nach deren Arbeitsumgebung, nach den Organisationsformen und Informationsnetzwerken, die sie genutzt haben, um das Internet aufzubauen. Dabei stellt sich heraus, dass wir diese Frage besser beantworten können, wenn wir Analogien zu den Innovationsmustern ziehen, die Darwin bei seinen Korallenriffen entdeckt hat, oder auch zum Aufbau des menschlichen Gehirns. Theorien, die erklären, wie wir unsere Organisationen kreativer machen können oder warum tropische Regenwälder so reichhaltiges Leben hervorbringen, gibt es genug. Was uns fehlt, ist eine vereinheitlichte Theorie, welche die Gemeinsamkeiten dieser Innovationsräume beschreibt. Weshalb wimmelt es in einem Korallenriff nur so von biologischer Innovation? Weshalb bringen Großstädte schon so lange so viele neue Ideen hervor? Wie gelang es Darwin, einen Zusammenhang zu entdecken, der so vielen seiner brillanten Zeitgenossen entgangen war?
Natürlich lässt sich jede dieser Fragen zumindest teilweise beantworten, wenn man die ökologische Entwicklung eines Riffs betrachtet, die soziologische Entwicklung von Großstädten oder den intellektuellen Hintergrund eines Wissenschaftlers. Aber all diese Antworten gelten nur für den jeweils untersuchten Teilbereich. These dieses Buches ist jedoch, dass es noch andere, interessantere Antworten gibt, die sich auf alle drei Phänomene anwenden lassen.Wenn wir uns dem Problem mit einem interdisziplinären Ansatz nähern und nach den oben erwähnten selbstähnlichen Fraktalen suchen, stoßen wir auf ganz neue Erkenntnisse. Wenn wir die Entstehungsgeschichte der Innovation auf allen drei Ebenen betrachten, treten Muster zutage, die bei einer Einzelbetrachtung leicht unter den Tisch gefallen oder zumindest unterbewertet worden wären.
Ich nenne diesen Blickwinkel den langen Zoom. Man kann ihn sich als eine Art Sanduhr vorstellen:
Je weiter wir uns in dieser Sanduhr nach unten bewegen, desto kleiner
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